RebellInnenrätsel: Der hitzköpfige Partisan
Huljajpole in der Südostukraine gehörte noch zum Russischen Reich, als er 1888 dort zur Welt kam. Als Halbwaise musste er sich schon früh auf fremden Höfen verdingen. «Wenn einer der Herren dich schlägt, mein Kleiner, greif nach der nächsten Mistgabel und spiess ihn auf!», hatte ihm der Stallmeister eingeschärft. Untertänig war der Knabe aber ohnehin nicht; die Gutsbesitzer samt ihren geschniegelten Söhnchen weckten in ihm nur Hass und Zorn.
Mit fünfzehn entkam er dem Knechtsleben, hielt sich mit Fabrikjobs über Wasser, zog mit einer politischen Laienspieltruppe durchs Land. Als 1905 die erste russische Revolution ausbrach, war er bereits radikalisiert: Nicht nur der Zar, der ganze Staatsapparat musste weg! Die Bauernschaft, glaubte er, kam besser allein zurecht. Er schloss sich einer anarchokommunistischen Gruppe an (die ihn nur unwillig aufnahm, da er als Hitzkopf und Prahler galt), verübte Anschläge auf Gutshöfe und Polizeistationen. 1908 erhielt er dafür «lebenslänglich».
Im Gefängnis büsste er seine Gesundheit ein, holte dank eines anarchistischen Mithäftlings aber die verpasste Bildung nach. Nach der Februarrevolution 1917 amnestiert, verteilte er mit den BäuerInnen seines Heimatbezirks sofort den gutsherrlichen Boden und Viehbestand um und gründete Landkommunen. Auch für eine Erhöhung der Löhne sorgte er: «Für euch, meine Herren», erklärte er unwilligen Fabrikanten, «finden sich hier genügend Telegrafenmasten.» Zimperlich war er nie.
Die Oktoberrevolution begrüsste er. Der folgenden Unabhängigkeitserklärung der Ukraine dagegen konnte er als Antinationalist nichts abgewinnen, zumal dies unwillkommene Mächte ins Land rief: Deutschland und Österreich-Ungarn verlangten für ihren Kampf gegen die Rote Armee unter anderem eine Million Tonnen Getreide aus der Südukraine. Gegen deren Soldateska, die bald sengend und mordend durch die Dörfer zog, hob er eine schlagkräftige Widerstandsarmee aus. Als mit der konterrevolutionären Weissen Armee ein weiterer Feind auf den Plan trat, paktierten die Bolschewiken in Moskau gern mit dem verwegenen Guerillachef. Kaum war der Sieg jedoch gemeinsam errungen, sandten sie die Rote Armee aus, um das erfolgreiche Selbstverwaltungsexperiment gewaltsam zu beenden.
Wer war der mit 45 Jahren im Pariser Exil verstorbene Anarchist, der 1921 prophezeite, dass die Herrschaft der Bolschewiken einen totalitären Staat und «eine verantwortungslose Generation von Demagogen und Diktatoren ausspucken» werde?
Wir fragten nach dem ukrainischen Anarchisten Nestor Machno (1888–1934). Er war Initiator und Namensgeber der revolutionären Bauern- und Partisanenbewegung Machnowschtschina, die eine auf dem Rätesystem basierende, herrschaftsfreie Gesellschaft anstrebte und, wo dies erreicht war, verteidigte. Während des ukrainisch-russischen Bürgerkriegs liessen die «Machnowzi» in eroberten Dörfern per Aushang mitteilen, dass die «Revolutionäre Aufständische Armee im Dienst keiner politischen Partei, keiner Macht, keiner Diktatur» stehe und dafür sorge, «dass niemand die Macht ergreift!». Der anarchistische Mithäftling im Moskauer Butyrka-Gefängnis war sein späterer Biograf und Machnowschtschina-Kombattant Pjotr Arschinow. Machno wurde auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise begraben.