Diesseits von Gut und Böse: Gelungene Gesten

Nr. 14 –

Es ist nur eine kurze Anekdote, die sich seit einigen Tagen um den Mittelfinger einer Nationalrätin rankt: Auf dem neu lancierten Online-«Satire»-Portal listete ein Autor «sonderbare» politische Vorstösse auf, darunter auch zwei der SP-Nationalrätin Samira Marti; beim zweiten kommentierte er: «Noch ein Bild von Frau Marti erspare ich Ihnen an dieser Stelle.» Daraufhin stellte diese dem Blatt via Twitter ein freundliches Selbstporträt zur Verfügung – mit gerecktem Mittelfinger.

Seither halten sich Empörung und Applaus die Waage. Dabei spiegelt die kleine Geschichte bloss den aktuellen Stand der hier üblichen Geschlechterrollen. Dass Frauen in öffentliche Ämter gewählt werden können, auch wenn sie jung sind, ist ein Fortschritt. Samira Marti ist 27. Vom zähen Stillstand zeugt, wie Frauen immer auch nach ihrem Äusseren beurteilt werden, besonders wenn sie öffentlich auftreten.

Eine Basler Grossrätin beschrieb vor einigen Wochen, wie sie im Rat von einem gewählten Parlamentarier auf niedrigstem Niveau beleidigt wurde. Am meisten verletzte die Betroffene, dass dem Mann niemand unter ihren RatskollegInnen Einhalt gebot.

Bei der genannten Onlinezeitung scheint man solch öffentliche Sottisen für Satire zu halten. Auch Marti reagierte öffentlich. Die von ihr gezeigte Schmähgeste setzten schon die alten Griechen ein, sie symbolisiert den aufgerichteten Phallus, ist also kulturell zutiefst männlich verwurzelt. Gerade darum halte ich sie hier für einen erfrischenden Akt der Selbstermächtigung.

Wer im Übrigen findet, so ein Stinkefinger sei eines Volksvertreters immer unwürdig, egal welchen Geschlechts, sollte sich mal mit der geistigen Jauchegrube befassen, aus der da manche gern schöpfen.