Diesseits von Gut und Böse: Rette sich, wer kann
«Viele Frauen fürchten sich davor, abends allein unterwegs zu sein. Manche trauen sich nach Sonnenuntergang nicht mehr aus dem Haus. Das darf nicht sein, sagt der Sicherheitsprofi – und gibt Tipps.» So eröffnet die «SonntagsZeitung» ihren Beitrag zum Thema Belästigung im öffentlichen Raum.
Das dürfte natürlich wirklich nicht sein. Dumm ist nur, dass der Text dieselbe Falle stellt, in der schon Generationen feststecken: Die Frau muss sich ändern, wappnen, trainieren, um dem Raubtier zu entkommen. Die Natur des Täters ist es, ihr aufzulauern, und nur wenn sie schneller, mutiger, selbstbewusster ist, kommt sie heil nach Hause.
Wer die Tipps gelesen hat, kann sich erst recht nicht mehr vorstellen, freiwillig das Haus zu verlassen, so gefährlich ist es draussen. Man müsse einen Plan haben und für alles gewappnet sein – im Parkhaus oder beim Spazieren im Wald. «Wer zügig geht», rät der Profi, «wirkt dynamischer, entschlossener – und der Täter hat weniger Zeit.» Gutes Schuhwerk sei von Vorteil, mit hohen Absätzen lasse sich schlecht flüchten. Ich kann auch mit flachen Schuhen nicht rennen.
Überhaupt ist ein Frauenleben kompliziert – auch im ÖV: «Wer im erleuchteten Abteil von aussen nicht gesehen werden will, bleibt am besten beim Eingang stehen. (…) Und nie als Einzige aussteigen, im Zweifel eine Station weiterfahren und dort in Gesellschaft den Bus verlassen.» Klar, wir gehen ja immer gern ein Stück zu Fuss. Aber da lauern halt auch Gefahren: «Den Schlüsselbund bereits in der Hand haben, damit man nicht nach ihm suchen muss – und um ihn allenfalls als Waffe einzusetzen.» Und auf den letzten Metern wirds nochmal ganz schlimm: «Oft findet der Angriff kurz vor der Haustür statt, weil das die letzte Möglichkeit für den Täter ist.» Wenn der sie doch erwischt, war sie halt nicht schnell und entschlossen genug.
Der Text ist furchtbar. Schliesslich brauchen auch Männer die Chance, Verantwortung zu übernehmen. Nicht mehr das nächtliche Raubtier geben zu müssen, dürfte nämlich auch sie erleichtern.