Diesseits von Gut und Böse: Die überförderte Frau

Nr. 38 –

«Die besten Recherchen beginnen oft mit einem unguten Bauchgefühl», erklärte Chefredaktor Jonas Projer im Editorial der «NZZ am Sonntag»: In der aktuellen Zeitung widme sich eine Autorin ihrer Vermutung, «dass die Frauenförderung in manchen Firmen zu weit gediehen sei».

Die Vermutung belegen sollte unter anderem eine Studie der Avenir Group, einer Consultingfirma, die BewerberInnen für Kaderjobs beurteilt. Diese ergab, dass sich Frauen – wie schon oft untersucht – bei Stellenbewerbungen zwar eher unterschätzen, aber – Achtung! – «dass sie im Berufsleben entgegen allen Klischees immer selbstsicherer werden. […] Ab 45 sind Frauen selbstbewusster als Männer.» Diese fühlten sich bei Bewerbungen häufig durch die Vorgabe, bei gleicher Qualifikation werde eine Frau bevorzugt, diskriminiert und mutlos. Was zur rhetorischen Frage führte: «Werden Frauen zu stark gefördert?»

Nun räumt die Autorin selber ein: «Aus denselben Daten kann oft ein diametral anderer Schluss gezogen werden», und sie fragt sich, ob Frauen wirklich zu sehr von ihren Fähigkeiten überzeugt sind oder einfach mit der Zeit aufhören, an sich selber zu zweifeln. So bleibt die Recherche eine aus ungutem Bauchgefühl gespeiste Spekulation.

Dasselbe Gefühl bediente die «SonntagsZeitung», indem sie beklagte, dass Männer nicht mehr Gynäkologe werden wollten. Mehr Frauen bedeuten nämlich auch für den Arztberuf: tieferes Renommee und weniger Geld. Und eine Frauenärztin bedauerte: «Wenn die Männer fehlen, fehlt eine andere Sicht auf die Dinge.» Würde man diese Logik auf alle medizinischen Fachbereiche anwenden, dürften uns Menschen nur noch Humanoide und Aliens behandeln.