Rebell:innenrätsel: Der lautstarke Aktivist

Nr. 44 –

«Hört irgendjemand zu?», fragte er empört in einem Artikel in der «Sunday Times». Hunderttausende Tonnen Öl liefen aus schlecht gewarteten Leitungen über die Äcker der Ogoni im Nigerdelta; krebserregende Schwermetalle zerstörten die Lebensgrundlage, verseuchten das Grundwasser, das Essen, die Lungen. Wenn die Ölfördergesetze nicht geändert und die Interessen der BewohnerInnen nicht berücksichtigt würden, mahnte er, lasse sich die Katastrophe nicht verhindern. Doch niemand hörte. Die Politiker schaufelten weiter Millionen Petrodollars in ihre Taschen, und die westlichen Mineralölkonzerne wuschen, während sie heimlich Polizei und Armee alimentierten, ihre Hände in Unschuld. 1993 landete der «Aufwiegler» das erste Mal im Gefängnis.

Der spätere Vorsitzende der nationalen Schriftstellervereinigung war 1941 im Süden Nigerias zur Welt gekommen. Als die britische Kolonie 1960 unabhängig wurde, stand er am Anfang einer literarischen Laufbahn. Aus einer angesehenen Ogoni-Familie stammend, studierte er in Ibadan Englisch. Den Ausbruch des Biafra-Kriegs 1967 erlebte er als Universitätsdozent für Afrikanische Literatur in Nsukka. Damals verwarf er seinen Plan, in den USA Theaterwissenschaften zu studieren, und schlug sich im Sezessionskrieg auf die Seite der Regierung, die ihn als Zivilverwalter der gerade zurückeroberten Stadt Bonny, eines wichtigen Ölumschlagplatzes im Nigerdelta, einsetzte.

Nach dem Bürgerkrieg arbeitete er als Bildungsbeauftragter für die Regionalregierung des neuen Bundesstaats Rivers, wo man ihn 1973 entliess, weil er sich für die Rechte der Ogoni einsetzte. Danach verfasste er fürs Fernsehen eine der beliebtesten Comedy-Serien Afrikas, veröffentlichte seinen Antikriegsroman «Sozaboy» und mischte sich als Präsident der «Bewegung für das Überleben der Ogoni» verstärkt in die Politik ein: Lautstark kämpfte er – auch vor der Uno – gegen die westlichen Mineralölkonzerne, für Demokratie und Minderheitenrechte, für Umweltschutz und Entschädigungen. Bis ihn Diktator Sani Abacha zum zweiten Mal verhaften und unter den Augen einer entsetzten Weltöffentlichkeit am 10. November 1995 hängen liess.

Wer war der 1,55 Meter grosse Aktivist, der beklagte, dass das Unrecht im Land umgehe «wie ein Tiger auf Beutejagd», und der es als «schlimmste Beleidigung» empfand, «Hampelmännern auf Gnade und Ungnade ausgeliefert zu sein»?

Wir fragten nach dem nigerianischen Bürgerrechtler, Umweltaktivisten und Schriftsteller Ken Saro-Wiwa (1941–1995). 1993 erstmals verhaftet, wurde er auf internationalen Druck hin wieder freigelassen. Als 1995 Diktator Abacha hart blieb und Saro-Wiwa mit acht weiteren Aktivisten hinrichten liess, wurde Nigeria vorübergehend aus dem Commonwealth ausgeschlossen. Saro-Wiwa erhielt 1994 den Alternativen Nobelpreis, 1995 den Bruno-Kreisky-Preis für Verdienste um die Menschenrechte sowie den Goldman Environmental Prize. Die im Rätsel erwähnte TV-Comedy-Serie hiess «Basi & Company». Seit Ende der fünfziger Jahre haben über 1,5 Millionen Tonnen Rohöl das Nigerdelta, ein Ökosystem von der Grösse der Schweiz, verseucht. Derweil sind rund 600 Milliarden US-Dollar in die Kassen der Mineralölkonzerne und korrupter Politiker geflossen – für die Menschenrechtsvergehen und die Umweltschäden zeigte sich lange niemand verantwortlich. 2009 erklärte sich der britisch-niederländische Mineralölkonzern Shell erstmals aussergerichtlich zu Zahlungen an die neun Hinterbliebenen-Familien bereit. Im Februar 2021 liess der oberste Gerichtshof Grossbritanniens eine Klage gegen Royal Dutch Shell vor einem britischen Gericht zu: Bis dahin hatte der Mutterkonzern erklärt, dass die Verseuchung Folge von Sabotageakten sei und man Royal Dutch Shell zudem nicht für die nigerianischen Tochterfirmen haftbar machen könne.