Diesseits von Gut und Böse: Frau im Dilemma

Nr. 46 –

Obwohl die Feststellung, Altwerden sei nichts für Feiglinge, auf der Kitschskala weit vorn rangiert, stimmt sie, und zwar besonders für Frauen. Parallel zu ihrer von Männern angenommenen «Fuckability» nimmt das gesellschaftliche Interesse an Frauen und deren öffentlicher Abbildung mit zunehmendem Alter ab. Sie werden unsichtbar; es sei denn, man zeigt sie bei der Impfung im Alterszentrum oder weil sie Finanzministerin der USA sind.

Viele Frauen stört das. Einige davon bekämpfen die fehlende Sichtbarkeit seit Jahren als Grossmütterrevolution und haben nun mit einem Kalender in Wort und Bild «Nackte Tatsachen» geschaffen.

In kurzen Statements hält jedes Monatsblatt Fakten fest: Lohnungleichheit, niedrigere Frauenrenten, die unzähligen, aber unbezahlten Stunden Care-Arbeit, die ältere Frauen leisten. Die Zahl der Medienbeiträge, in denen Frauen überhaupt erwähnt werden, dümpelt bei 23 Prozent und liegt bei alten Frauen noch tiefer (wobei sich diese Zeitung mit ihren 29 Prozent auf Platz 1 auch nicht mit Ruhm bekleckert).

Die gesellschaftlichen Frauenbilder seien «zwischen Pirelli-Girls und Hintergrund-Grosis festgefahren», schreiben die Herausgeberinnen. Nun halten sie mit Bildern dagegen, die «die Schönheit der gealterten Körper mit freiem Geist und Schalk inszeniert» zeigten. Und da wirds für mich knifflig: Die Fotos gefallen mir nicht.

Ich weiss natürlich, dass auch meine Sehgewohnheiten früh geprägt und radikal eingeengt wurden durch die glatte Ästhetik mich umgebender Frauenbilder – vorneweg: Twiggy – und die herrschende Misogynie. Doch obwohl mir das heute bewusst ist, kann ich mich nicht entschliessen, Falten und Unterhautfettgewebe schön zu finden. Auch nicht, wenn sie mit Goldbronze besprayt sind.

Ich wünsche den mutigen Frauen, die sich abbilden liessen, alles Gute! Mir reichts, wenn ich mich erst mal mit meinem eigenen Spiegelbild anfreunden kann.