Diesseits von Gut und Böse: Der empfindsame Mann

Nr. 49 –

Es sei «immer niederträchtig, einen Menschen wegen seiner Genitalien zu verhöhnen, und zwar egal, welcher politischen Couleur oder welchem Geschlecht jemand angehört», schrieb der sympathische Kollege in der «NZZ am Sonntag» unter dem Stichwort «Männerfeindlichkeit», und er hat natürlich im Grundsatz recht. Doch worum gings?

Nationalrätin Jacqueline Badran stand im Abstimmungsstudio Josef Ender gegenüber, dem Sprecher des Aktionsbündnisses Urkantone und Aktuar des neu gegründeten Vereins «Aufrecht Schweiz», der gerade wiederholt hatte, dass seine Organisation für die «natürliche Immunisierung» der Bevölkerung sei. Worauf Badran ihm vorwarf, das bedeute nichts anderes als eine Durchseuchungsstrategie, doch das offen zuzugeben – «für das händ Sie äbe kei Eier!»

Der bekannte Ausdruck «keine Eier haben» bedeutet laut Redensartenindex: zu feige sein, etwas zu tun, nicht konsequent oder mutig sein. «Eier haben» gilt als Sinnbild für Männlichkeit, Mut, Potenz und Durchsetzungsvermögen, schliesslich leben wir im Patriarchat.

Von konkreten Genitalien hat sich der Spruch längst losgelöst, auch eine Frau kann «Eier haben» – medizinisch betrachtet hat sie ja auch welche, und zwar nicht zwei, sondern Millionen. Doch Scherz beiseite: Es gibt tatsächlich keine Redensart, die sich weiblicher Körpermerkmale bedient und dabei ähnlich positive Eigenschaften ausdrücken soll. Eine «Pussi» sein heisst feige sein, und «Wow, hat die einen Uterus!» gibts noch nicht.

Aber unter «einen Menschen wegen seiner Genitalien zu verhöhnen» verstehe ich etwas anderes. Da fallen mir zwar leider bloss die unzähligen Witze über den «grössten Feldherrn aller Zeiten» ein, der nur einen Hoden gehabt haben soll, aber auch wenn das für ein Individuum sicher schmerzlich ist, finde ich die Verhöhnung in dessen Fall vergleichsweise liebenswürdig.