Diesseits von Gut und Böse: Das ärztliche Gewissen
Der gute alte Hippokrates hatte ja im Lauf der Geschichte schon öfter starke Gründe, sich verzweifelt im Grabe herumzudrehen. Sollte er grade zur Ruhe gekommen sein, ist damit jetzt Schluss: Für das Team «Bekämpfung Versicherungsmissbrauch» sucht die IV-Stelle des Kantons St. Gallen nämlich eine Ärztin oder einen Arzt für ein volles Pensum.
Die gesuchte Persönlichkeit soll über «analytisch-forensische Fähigkeiten» und «kriminalistisches Flair» verfügen, denn der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit wird «die medizinische Beurteilung von Fällen mit hohem Missbrauchsrisiko» sein, wobei sie «nicht zielkonforme Leistungen der Sozialversicherung erkennen, verhindern und, wenn nötig, strafbares Verhalten zur Anzeige bringen» soll. Die ärztliche Grundaufgabe, das Heilen, gilt hier nicht als «zielkonform».
Aber solch geheimpolizeiliche Einsätze hat die IV ja eigentlich gar nicht nötig, denn häufig gibts sowieso nichts. So sagte Florian Steinbacher, Präsident der IV-Stellen-Konferenz, in Bezug auf die vielen Long-Covid-Patient:innen, denen eine IV-Rente verweigert wird, kürzlich in der «Rundschau»: «Jeder wird den Vorgaben entsprechend angeschaut, behandelt und beurteilt. […] Unser Grundsatz ist es, gesetzliche Grundlagen anzuwenden. Wenn diese als zu streng empfunden werden, können wir das nicht ändern.»
Der Beitrag zeigte auf, dass noch viele andere Diagnosen existieren, die weder zu einer Rente noch zu Wiedereingliederungsmassnahmen berechtigen. Dazu merkte ein «Ärztliches Begutachtungsinstitut» der IV süffisant an, «wie erfinderisch Mediziner sind, subjektive […] Beschwerden immer neu mit für Laien sehr schwerwiegend tönenden Namen zu versehen».
Wäre ja echt super, wenn die Schweiz ähnlich viel Energie und Spürsinn auf die Suche nach russischen Oligarchenschätzen aufwendete. Dafür bräuchte es nicht mal ein Medizinstudium!