Diesseits von Gut und Böse: Blanke Fakten
Es war in meiner prüden Kindheit, als mir auf einer Illustrierten erstmals Rudi Gernreichs «Monokini» begegnete, eine kreative Weiterentwicklung des Bikinis, die mich fassungslos machte: Nie zuvor hatte ich die weibliche Brust entblösst gesehen, nicht mal bei meiner Mutter.
Es war knapp vor der sogenannten sexuellen Revolution, die mit dem ganzen Menschen auch den Busen befreite – sogar in der Schweiz: 1978 entschieden Berner Justizbehörden, das «Entblössen der weiblichen Brüste» in Freibädern sei nicht mehr als «schwere Missachtung des Sittlichkeitsgefühls» zu verfolgen; und so waren in den 1980er Jahren im Zürcher Strandbad Tiefenbrunnen blanke Busen ebenso verbreitet wie verhüllte.
Die Wucht, mit der der Backlash der letzten Jahrzehnte diese Freiheit wieder platt walzte, macht eine Stellungnahme des Stadtzürcher Sportamts deutlich, die vor wenigen Tagen im «Tages-Anzeiger» zu lesen war: Ausser in separaten Bereichen müsse der Busen im Freibad bedeckt bleiben, «es gehe darum, ‹das sittliche Empfinden› anderer Badegäste nicht zu verletzen». Die erlaubte Barbusigkeit scheint wieder in weite Ferne gerückt.
«Die weibliche Brust ist symbolisch so sehr aufgeladen, dass man immer ein Statement macht, ob man sie bedeckt oder nicht», konstatierte 2016 eine Historikerin gegenüber der NZZ. Und genau dort liegt das Problem, denn im Zuge der Gleichstellung wäre es längst angebracht, der weiblichen Brust keine andere Bedeutung zuzuschreiben als der männlichen.
Nun kann ja – je nach Jugend, Attraktivität und persönlichem Geschmack – auch dem männlichen Oberkörper durchaus erotisches Potenzial eignen. Aber hat man je eine Frau gesehen, die im Gespräch mit einem Mann ihre Worte ausschliesslich an dessen Brustwarzen richtete? Eben.