Diesseits von Gut und Böse: Das Fleisch ist schwach
Meine wenigen kulinarischen Erfahrungen aus der Westschweiz beschränken sich darauf, dass man dort keine Scheu kennt, Stopfleber anzubieten, und dass man mir, nachdem ich bei einer Vorbestellung «vegetarisch» angekreuzt hatte, einen gebratenen Fisch servierte.
Entsprechend erstaunte mich die Nachricht, dass die Grünen ausgerechnet in Genf beschlossen hatten, gewählte Mitglieder sollten in der Öffentlichkeit kein Fleisch mehr essen, um Vorbild zu sein. Natürlich leuchtet der Gedanke dahinter ein: Der menschliche Fleischkonsum schadet dem Klima; und wer sich auch nur halbwegs realistisch vorstellen kann, was Massentierhaltung bedeutet, kann nicht mehr guten Gewissens deren Produkte essen.
Konkret verpflichtete man sich, «bei Plenarsitzungen, Arbeitssitzungen, offiziellen Essen oder anderen Veranstaltungen […] eine mindestens vegetarische Ernährung zu praktizieren». Doch die Umsetzung dessen stelle ich mir kompliziert vor.
Zwecks Kontrolle müsste ein Spitzelnetz aus Servicepersonal und Tischnachbar:innen die Speisewahl aller Rät:innen dokumentieren, was schon beim Augenschein an seine Grenzen geriete: Nachgeformt aus diversen Pflanzen, liegen doch inzwischen auch vegane Poulets, Würste, Hacktätschli und sogar Steaks auf dem Teller.
Und wem ein Vorbild sein? Dem bürgerlichen Kollegen, der sich gerade sein Schnipo reinhaut? In der Erwartung, dass der bewundernd zum Vegimenü rüberschielt und ergriffen sagt: «Ach – sieht ja gar nicht so schlimm aus! Das nehm ich nächstes Mal.» Kommt hinzu, dass jene, die gegen den Beschluss stimmten, ihre Cervelats und Bratwürste jetzt im Verborgenen horten müssen, um sich – kaum sind sie unbeobachtet – gierig drauf zu stürzen.
Ein ebenfalls beantragtes Alkoholverbot wurde übrigens abgelehnt. Chasselasfreie Anlässe hätten den Rahmen des regional Vorstellbaren dann doch gesprengt.