Diesseits von Gut und Böse: Es rutscht raus

Nr. 33 –

Sollten Sie daran interessiert sein, sich näher mit dem Gebrauch von «schwul» als Schimpfwort zu befassen, begeben Sie sich am besten auf einen Pausenplatz voller Sechstklässler. Natürlich dürften sich unter den Nutzer:innen des Begriffs auch ein paar Mädchen finden, doch der typische «Schwul»-Schimpfer ist männlich und plus/minus zwölf. Und er tut dies umso leidenschaftlicher, je stärker in seinem Umfeld sexuelle Orientierungen tabuisiert und binäre Geschlechterstereotype vorgelebt werden. Dem Beschimpften soll so Weiblichkeit und damit Schwäche unterstellt werden.

Nun gut. Andere sind erwachsen geworden, ohne dass sie diesbezüglich etwas dazugelernt hätten, zum Beispiel Marius Müller, Goalie beim FC Luzern, der nach einem 4 : 1-Absturz in nachvollziehbarem Ärger über seine eigene Mannschaft in die Fernsehkameras sagte: «Das schwule Weggedrehe, das geht mir tierisch auf den Sack.»

Und wieder tobt ein machtvoller Sturm durchs Land. Man zeigte sich geschockt wegen der homophoben Äusserung, Müller entschuldigte sich (die Aussage spiegele «weder meine Einstellung noch meine Werte, welche ich tagtäglich lebe»), der FC Luzern entschuldigte sich (Müller habe «sich öffentlich gegen die Werte des Klubs gestellt»), und die Swiss Football League will ein Verfahren eröffnen. Weil Müller Deutscher ist, empörte sich selbst die «Bild»-Zeitung.

Bei all den beschworenen Werten könnte glatt untergehen, dass es neben Schulpausenplätzen vor allem ein Ort ist, an dem Homosexualität tabuisiert wird: im Männerfussball. Queere Profifussballer, die sich irgendwann geoutet haben, kann man an einer Hand abzählen.

Man solle «nicht alles auf die Goldwaage legen», die Worte seien «dem Mülli in der Emotion rausgerutscht», fanden Fans auf Social Media. Und tatsächlich: Marius Müller ist nicht das Problem, sondern ein Symptom. Ihm ist nur rausgerutscht, was im Männerfussball und in weiten Teilen unserer Gesellschaft halt so gedacht wird.

Dass queere Soldat:innen im Krieg gleichberechtigt an der Front kämpften, verhelfe der LGBTQ-Community in der Ukraine zu mehr Rechten, berichtete die «SonntagsZeitung». Ich hoffe, der Fussball schafft es ohne Krieg.