Diesseits von Gut und Böse: Das «durchgesickerte» Video

Nr. 34 –

Aufs Wohlergehen der Menschheit hat das, was die finnische Regierungschefin tagsüber oder auch nächtens treibt, unterschiedlichen Einfluss. Man könnte also erwarten, dass die internationale Öffentlichkeit eher die Ohren spitzt, wenn die Premierministerin eines kleinen Landes mit gemeinsamer Grenze zu Russland ein Nato-Beitritts-Gesuch unterzeichnet, als wenn sie auf einer Party tanzt. Doch während «Sanna Marin Nato» auf Google neun Millionen Treffer generiert, bringt es ihr Name, kombiniert mit «Party» oder «Video», auf fünfzig Millionen.

Wer das Video, das die ausgelassen tanzende Marin auf einer privaten Party zeigt, veröffentlichte, ist offen: Putins Trolle? Besoffene Freund:innen? Die nationalistische Rechte? Eine finnische Zeitung fragte Marin, «ob sie vernünftig genug ist, ein Land auch nach einer Partynacht führen zu können».

Dass die landeseigene Opposition so was ausschlachtet, ist erwartbar. Dass aber auch die internationale Presse ernsthafte Überlegungen anstellt, ob sich eine solche Freizeitgestaltung für eine Regierungschefin ziemt, ist – ach, endlich eine Gelegenheit für dieses Wort! – einfach nur cringe.

Mit der in Umlauf gebrachten Schlussfolgerung, wer «so» tanze, habe wohl illegale Drogen konsumiert, zwang man die Premierministerin zum Drogentest – mit negativem Ergebnis. Die Gründe für den Aufruhr dürften von Frauenhass bis zu schlichtem Neid reichen.

Sanna Marin ist schön, jung, intelligent und für die Generation, die auch die Schweizer Regierung jetzt stärker ansprechen will, eine grossartige Identifikationsfigur. Aber nach einer Hörprobe aus «Weltwoche daily» weiss ich: Für Schweizer Politikerinnen solchen Zuschnitts sind die Männerfantasien noch nicht reif.