Diesseits von Gut und Böse: Knast im Chaos

Vor ziemlich genau einem Jahr liessen sich 832 begeisterte Freiwillige im neuen Gefängnis Zürich-West einsperren, einige gaben anschliessend in Medien Einblick in ihren heroischen Selbstversuch. Bei Nennung eines bestimmten Passworts konnten sie wieder gehen. Inzwischen könnte es dem einen und der anderen passieren, dass man sie trotz Passwort nicht rauslässt. Selbst hinsichtlich Speisewahl («Die Freiwilligen können zwischen Fleisch, vegetarischem Essen und Halal wählen», blick.ch, 10. Februar 2022) sieht es nicht mehr so rosig aus. Denn, kurz gesagt, ist im neuen Knast inzwischen anscheinend das Chaos ausgebrochen.
Wie der Gefängnisdirektor in der NZZ eingestand, haben sich die Behörden gründlich verrechnet, als sie die Anzahl der im Normalbetrieb notwendigen Kräfte erstellten: Derzeit arbeiten dort 117 Wachleute, doch diverse Vorkommnisse zeigen: Es braucht fast doppelt so viele.
«So soll überfordertes Wachpersonal wiederholt die falschen Häftlinge aus der vorübergehenden Polizeihaft freigelassen und im Gegenzug andere Insassen länger in Haft belassen haben, als eigentlich vorgesehen war», schrieb der «Tages-Anzeiger». Da sei aber «jetzt kein Sexualstraftäter und kein Gewalttäter» dabei gewesen, erklärte der Direktor, was wohl nur eingeschränkt zur Beruhigung der ortsansässigen Bevölkerung beitragen dürfte. Der im Justizdepartement entwickelte Personalschlüssel basiere auf einem Gesetz aus dem Jahr 2003.
Ein Grund für die Verkomplizierung der Abläufe seien die langen Wege. Zur Berechnung der erforderlichen Zeit habe man Tests gemacht, bei denen man sich Mühe gegeben habe, «extra langsam zu gehen. Aber es zeigte sich, dass mit einem Inhaftierten, der natürlich mässig motiviert ist, sich zu bewegen, die gleiche Strecke doppelt so lange dauerte.»
Die Klage «Zwangs-Vegi-Menu in Zürcher Gefängnis verärgert Fleischesser» auf 20min.ch scheint hingegen reisserisch, denn empört ist vor allem der Verein Carna Libertas («Verein ‹Carna Libertas› kämpft gegen Essdiktatur und Fleischscham», «Nebelspalter», 21. Februar 2023), der Mike Egger, SVP-Nationalrat und Metzger, schon die Ehrenmitgliedschaft angetragen haben dürfte. Fleischlose Kost erhalten aber nur «vorläufig» Festgenommene, ein Status, der maximal 96 Stunden daure. Und selbst der leidenschaftlichste Karnivore sollte doch vier Tage durchhalten können.
Ganz am Rand sei das Geschehen den Drehbuchautor:innen des Schweizer «Tatorts» ans Herz gelegt. Dann wäre dort endlich mal was zwischenmenschlich Interessantes los.