Diesseits von Gut und Böse: Bis aufs Blut

Nr. 16 –

Es ist der NZZ zu wünschen, dass nicht alle ihrer Leser:innen so ticken wie die meisten jener knapp 380, die sich derzeit in der Kommentarspalte zu einem Text über die «N-Wort-Hysterie» auslassen. Wobei dessen Autor zweifellos genau das beabsichtigte – leidenschaftliche Zustimmung zur These, in der Literatur finde derzeit eine «inquisitorische Säuberung» statt: «Die neue Inquisition macht aus der eigenen Empfindsamkeit ein Herrschaftsinstrument.» Es sei eine schlechte Strategie, das N-Wort – das er natürlich ausschreibt – «den Rassisten zu überlassen».

Und so baut er es wie ein Kind, das am Familientisch immer wieder begeistert Kacka, Kacka ruft, möglichst oft und mehrsprachig in jedem Abschnitt ein. Dabei listet er die üblichen Beispiele dafür auf, was uns «die Grossinquisitoren der literarischen Reinigungsunternehmen» verboten haben beziehungsweise noch verbieten wollen: von Pippi Langstrumpf über Huckleberry Finn bis zu James Bond. Martin Luther King, der in seiner berühmten Rede von «Negroes» sprach, ist ihm Kronzeuge dafür, dass in unserer Gegend alle verrückt geworden sind. Und «selbst der Psychoanalytiker und Ethnologe Paul Parin veröffentlichte 1993 einen Erzählband, in den er das N-Wort ganz arglos hat einfliessen lassen».

Aber was hindert den Autor und seine Kommentator:innen eigentlich, sich auch nur ansatzweise in eine Person einzufühlen, die sich von einer solchen Bezeichnung verletzt fühlt? Dass einer stolz schreibt: «Ich sage unter Lebensgefahr immer noch Fräulein. Zumal das Gegenteil nicht Herrlein, sondern Jüngling heisst», weist zuallererst auf eine Gestrigkeit hin, für die der Begriff «Konservativismus» nicht ausreicht. Gleichzeitig beweist das Statement, dass es die deutschsprachige Gesellschaft doch manchmal hinkriegt, ein Wort mehr oder weniger zu eliminieren, ohne dass dabei die Welt untergeht.

Mir würde ja einiges einfallen, womit man uns, die weisse Mehrheitsgesellschaft, aufs Übelste beleidigen könnte. Wenn sich die wackeren Kämpfer:innen ständig so beschrieben sähen, würde ich nicht dabei sein wollen.