Was weiter geschah: Eine ganz normale Theatermacherin

Nr. 19 –

Am 4. Mai sind die russische Regisseurin und Theaterdirektorin Jewgenija (auch Schenia genannt) Berkowitsch und die Dramatikerin Swetlana Petrijtschuk in Moskau verhaftet worden. Sie werden wegen ihrer gemeinsamen Theaterarbeit «Finist – Heller Falken» aus dem Jahr 2020 der «Rechtfertigung von Terrorismus» beschuldigt.

Das Stück erzählt die Geschichten russischer Frauen, die von Terroristen via Social Media mit Liebes- und Eheversprechen rekrutiert werden. «Finist – Heller Falke» verwob den Plot eines alten russischen Märchens mit dokumentarischen Zeug:innenaussagen, teils aus Gerichtsprotokollen. Das Theaterstück, das offenkundig eine antiterroristische Haltung hat und sich mit den Frauen solidarisiert, wurde vom russischen Kulturministerium unterstützt. Es tourte durchs ganze Land und gewann 2022 zwei Goldene Masken, einen der wichtigsten russischen Theaterpreise.

Nach der russischen Invasion in die Ukraine schrieb Berkowitsch Gedichte, die kürzlich in Israel auch als Buch herauskamen. In ihnen spiegeln sich ihre Gefühle über die Lage in Russland. Die Gedichte sprachen zahlreichen Russischsprechenden auf der ganzen Welt offenkundig aus der Seele. Als sie verhaftet wurde, haben viele Berkowitschs Gedichte auf Facebook geteilt, um Unterstützung zu signalisieren und gegen die absurde Verhaftung zu protestieren.

Berkowitsch, die stets gesagt hat, dass sie im Land bleiben wolle, hat ihre Theaterprojekte in Russland im vergangenen Jahr fortgesetzt. Letzten Dezember hat sie zum ersten Mal ein eigenes Stück inszeniert: «Unser Schatz» wurde ins Repertoire des Moskauer Theaters «Der innere Raum» aufgenommen und erzählt die traditionelle Weihnachtsgeschichte in Form eines Krippenspiels, das Poesie, Prosa, Dokumentarisches und Improvisation verbindet. Im Januar fing sie am Moskauer Haus der Kultur GES-2 an, mit gehörlosen Menschen zu arbeiten, nachdem sie sich bereits früher für inklusives Theater engagiert hatte. Im April feierte das Stück «Mumu» mit hörbehinderten Schauspieler:innen unter ihrer Regie Premiere.

Berkowitsch und Petrijtschuk wurden für zwei Monate vorsorglich in Haft genommen. Bei einer Verurteilung drohen ihnen bis zu sieben Jahre Haft in einem Straflager.  

Nachtrag zum Artikel «Kultur im Krieg: Verurteilt für ein Like auf Instagram» in WOZ Nr. 47/22.