Diesseits von Gut und Böse: Die WOZ streikt
Keine Zeitung? Weisse Seiten? Nein, am 15. Juni werden Sie wie immer eine WOZ bekommen, in der alle Seiten bedruckt sind, obwohl im Vorfeld zum 14. Juni alles Mögliche diskutiert wurde. Aber wie streikt ein selbstverwaltetes Kollektiv, das sich seine Arbeitsbedingungen selber gibt?
Vor vielen Jahren schrieb uns ein Leser: «Sie sind bekannt dafür, dass Ihr Personal für einen Einheitslohn arbeitet. Angeblich behandeln Sie jede:n Mitarbeiter:in ungeachtet ihrer/seiner Stellung gleich, nicht nur Journalismus-Profis, sondern auch kaufmännische Leute, Putzpersonal und weitere Hilfskräfte. Das wäre ja supervorbildlich!» Wir gaben ihm recht. Und bis auf die Tatsache, dass der Einheitslohn heute existenzsichernd ist, haben wir am Prinzip nichts geändert. Damals fragte auch jemand, weshalb wir eigentlich nicht für höhere Löhne streiken würden. Tja, lächelten wir müde, den Tieflohn haben wir ja an der GV aus Not selbst beschlossen. Selbstverwaltetes Arbeiten birgt immer die Gefahr der Selbstausbeutung.
Auch wenn unsere Arbeitsverhältnisse heute menschenfreundlicher und sozialer sind, ist die WOZ keine Insel der Seligen, und alle Übereinkünfte müssen immer wieder einer Überprüfung standhalten. Doch eine Teilnahme am Streik erfordert schon allein die Solidarität mit all den Frauen, die in der Schweiz – einem Land, das vor Geld stinkt – immer noch weniger Lohn und Rente bekommen, mehr unbezahlte Arbeit machen, Diskriminierungen und Belästigungen erleben.
Am nächsten Mittwoch werden in der WOZ nur Männer arbeiten. Weil mittwochs die aktuelle Zeitung fertiggestellt werden muss, erfordert das kreative Planung. Plötzlich wird deutlich, in welchen Produktionsabläufen mehr Frauen beschäftigt sind, die am 14. Juni ein Mann vertreten muss. Und wenn der gerade seinen Kinderbetreuungstag hat, muss er halt den Götti aufbieten. Frau weiss: Es gibt immer eine Lösung.