Diesseits von Gut und Böse: Sehr grosse Fragen
Zürich, diese Woche im Bus. Während ich versuche, einen Krimi zu lesen, streiten sich quer über ein paar Reihen drei Buben, circa elf- oder zwölfjährig. Als sie den Krimi immer lauter übertönen, höre ich zu.
Zwei der Knaben rufen dem dritten zu: «Mann – Jesus war nicht der Sohn Gottes! Ihr Christen denkt das nur. Er war ein Prophet!» – «Doch», sagt der dritte: «Er war Gottes Sohn! Er ist wiedergekommen, obwohl er tot war, am nächsten Tag – ihr Muslime habt null Ahnung! Mohammed war ein Prophet. Der ist tot geblieben.» Die beiden anscheinend muslimischen Knaben beraten sich leise und stirnrunzelnd und kommen zum Schluss: «Mohammed kam auch wieder vor 600 Jahren, der war vorher auch tot. Ihr Christen wollt immer recht haben. Jesus war ein Prophet. Und die Christen verbrennen den Koran!» Jetzt wirkt der mutmassliche Christenbub verunsichert.
Die drei steigen aus, und ich fahre mit zwiespältigen Gefühlen weiter: Dass sie sich über die grossen Religionsstifter streiten statt über Fussball, hat mich überrascht. Dass sie überhaupt über Religion streiten, stimmt mich nicht optimistisch.
Zu Hause suche ich im Lehrplan 21 herum. Der Themenbereich «Religionen, Kulturen, Ethik» gehört ab der 1. Sekundarklasse zum Unterrichtsstoff. Ich lande beim Lernziel: «Die Schülerinnen und Schüler können sich in der Vielfalt religiöser Traditionen und Weltanschauungen orientieren und verschiedenen Überzeugungen respektvoll begegnen.» Okay. Vor allem am zweiten Teil können die drei ja noch arbeiten. Ebenso wie der Rest der Menschheit.
Ich persönlich würde dem Lehrplan noch einen weiteren Punkt hinzufügen: Die Schüler:innen erkennen, dass alle Religionen von Menschen erdacht wurden.