Diesseits von Gut und Böse: Eine kleine Nachlese

Nr. 32 –

Da haben wir offensichtlich in ein Wespennest gestochen, als wir uns letzte Woche erlaubten, eine in der «SonntagsZeitung» besprochene Studie tatsächlich zu lesen und infolgedessen zu anderen Schlüssen zu gelangen, als es die Autorin Bettina Weber zuvor tat.

Das von ihr gezogene Fazit, die Linke sei intoleranter als die Rechte, wurde auch nicht wahrer, indem es Chefredaktor Rutishauser bekräftigte. Der konstruierte gleich ein Duell zwischen zwei politisch polarisierten Politologen, die ihren Kampf in der jeweiligen Meinungspresse austrügen: in der «SonntagsZeitung» Michael Hermann, «Mitglied der GLP», versus Claude Longchamp, «ausgewiesener, nicht mehr ganz junger Linker», in den CH-Media-Zeitungen. Und im «Blick», um genau zu sein. Ach, wenn es doch so einfach wäre!

Wobei mich das Zitat von Michael Hermann, mit dem Weber ihre Intoleranzthese unterfüttert hatte, wirklich fassungslos zurückliess: «Im Extremfall findet [in der Linken, Anm. d. Red.] gar eine Entmenschlichung des Gegners statt – wie beim deutschen Linksterrorismus in den 70er-Jahren. Da erachtete die RAF das Ermorden von Menschen, die angeblich das Böse oder das Kapital oder gleich beides vertraten, als gerechtfertigt.»

Nicht dass ich die Taten der RAF in irgendeiner Weise relativieren oder gar bezweifeln möchte, aber die 109 Todesopfer rechter Gewalt, die laut Bundeskriminalamt zwischen 1990 und 2021 in Deutschland zu beklagen waren – allein 2016 wurden 22 Menschen ermordet –, gehören dann auch in die Aufzählung affektiver Polarisierungen.

Ich selbst bin übrigens bei bestimmten Themen stark affektiv polarisiert. Dennoch glaube ich, einigermassen tolerant durchs Leben zu gehen. Ich komme im Alltag mit unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch, und wenn diese anderer Meinung sind, haue ich ihnen dennoch nichts über den Schädel.

Um noch mal aufs Lesen zurückzukommen: Auf Twitter fanden sich unter meinem Text einige Kommentare wie «Die WOZ ist nicht ernst zu nehmen. Alles verblendete Ideologen» oder «In Sachen Intoleranz seit (!) ihr leuchtendes Beispiel». Da ich vermute, dass einige darunter nie eine WOZ in der Hand hatten, empfehle ich allen zwecks Urteilsschärfung ein Probeabo: acht Wochen WOZ für 25 Franken.