Diesseits von Gut und Böse: Journalistische Feinarbeit

Nr. 39 –

«Eeeelternteiiil, ich bin hingefallen!», kreischt es schluchzend quer über den Spielplatz, und der oder die Angerufene eilt herbei, um den Nachwuchs tröstend in die Arme zu schliessen. Ungefähr so muss man sich die Wahnwelt vorstellen, die letzte Woche in allen möglichen Medien zusammenfantasiert wurde, nachdem das Zürcher Sozialdepartement einen Newsletter zum Thema «gendersensible Erziehung» an Familien verschickt hatte.

Auslöser des um sich greifenden Irrsinns war der Satz: «Wenn Sie von anderen Familien reden, können Sie neutrale Bezeichnungen wie z. B. Kind, Elternteil oder Betreuungsperson verwenden.» Das führte in der Berichterstattung zu folgenden Titeln: «Stadt Zürich rät, dass Eltern nicht mehr Mami oder Papi sagen» («20 Minuten», bluewin.ch), «Eine Beratungsstelle will, dass mich meine Tochter ‹Elternteil› nennt» («St. Galler Tagblatt»), «Der Begriff ‹Mami› soll durch ‹Elternteil› ersetzt werden» (NZZ) et cetera pp.

Auch wenn irgendwo hinten in einem Text noch erwähnt wurde, dass es um «andere Familien» gehe, deren Verhältnisse man vielleicht nicht so gut kennt, war der Mist geführt.

Wer der Stadt Zürich den familienzersetzenden Floh ins Ohr gesetzt hatte, deckte dann die «SonntagsZeitung» auf: «Woher die Empfehlung kommt, ‹Elternteil› statt ‹Mami› und ‹Papi› zu sagen: Die Mütter- und Väterberatung der Stadt Zürich orientierte sich bei ihren Erziehungstipps am Buch eines Berliner Queer-Aktivisten. Nun räumt der verantwortliche Stadtrat Fehler ein.»

Im Text wurde dann betont, viele der Tipps im Newsletter seien «völlig unumstritten und für die meisten Eltern wohl eine Selbstverständlichkeit». Aber – so der eingeräumte Fehler – in diesem konkreten Fall sei das Thema «nicht so alltagstauglich aufbereitet» worden.

Stünde hinter der hysterischen Berichterstattung eine Leseschwäche, wäre es schon erschreckend genug. Doch dass hier einzig das Ziel verfolgt wird, jede kritische Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen lächerlich zu machen, kann wirklich beunruhigen.