Diesseits von Gut und Böse: Die Vergangenheit lebt
Australien hat mit der Schweiz einiges gemeinsam. Da ist zum Beispiel die Möglichkeit, am Eurovision Song Contest teilzunehmen, ohne zur EU zu gehören. Eine weitere Gemeinsamkeit betrifft das Bürger:innenrecht: Die Ureinwohner:innen Australiens wurden erst 1962 als Bürger:innen anerkannt, immerhin knapp zehn Jahre früher, als die Schweizer Männer den Schweizer Frauen ihre Bürgerinnenrechte zugestanden.
Ein grosser Unterschied zwischen den Ländern ist aber natürlich, dass die Aborigines den Kontinent schon 59 765 Jahre bewohnten, bevor die britische Regierung ihre Sträflinge dorthin aussiedelte, während die Schweizer Frauen schon genauso kurz oder lang hier wohnen wie die Männer.
Auch die politischen Systeme sollen sich ähneln. So wurde in Australien am letzten Samstag bei einer Volksabstimmung die Forderung, im Parlament ein beratendes Gremium der indigenen Bevölkerung einzurichten, mit sechzig Prozent Nein-Stimmen abgelehnt. Dabei gaben vor allem Falschmeldungen der Gegner:innenschaft, die Aborigines würden bei einem Ja finanzielle Ansprüche stellen, den Ausschlag. Indigene Kinder wurden jahrzehntelang fremdplatziert oder zwangsadoptiert, um sie ihrer Kultur zu entfremden.
Nun hat die Schweiz zwar ausser Wilhelm Tell keine Ureinwohner:innen, aber sie hatte und hat Bevölkerungsgruppen, die viele Jahrzehnte lang als nicht ins schöne Schweizerland passend betrachtet wurden. Das waren Fahrende, Jenische, ledige Mütter, arme Menschen – einfach alle, die aus behördlicher Sicht einen «liederlichen Lebenswandel» führten. Die schmerzliche Geschichte der Verdingkinder zeugt von deren Schicksal.
Auch Zwangsadoptionen gab es in der Schweiz. Doch während den Opfern sogenannt «fürsorgerischer» Massnahmen seit 2017 eine einmalige Solidaritätszahlung von 25 000 Franken zusteht, waren zwangsadoptierte Kinder bisher davon ausgenommen, weil sie ja nicht mehr unter der Obhut des Staates gestanden hätten. Nun hat das Bundesgericht entschieden, dass auch ehemals zwangsadoptierte Menschen ein Recht auf diese Solidaritätszahlung haben.
Manchmal liefert die Justiz doch auch gute Nachrichten.