Von oben herab: Imperium
Stefan Gärtner über rote Teppiche und Partnerwahl
Journalist müsste man sein; aus der Berner Onlinezeitung «Hauptstadt»: «Die Braut sagt Nein. – Obschon die Stadt Bern der Gemeinde Ostermundigen den roten Teppich ausrollte, lehnt diese die Fusion deutlich ab. Ein Debakel – vor allem für die Stadt Bern», überdies für die metaphorische Konsistenz, denn einer Braut rollt man ja nicht den roten Teppich aus, es sei denn, sie ist ein Möchtegern-Filmstar und besteht darauf. Dann sollte man das mit der Ehe aber auch noch mal überdenken.
Im Übrigen spielen rote Teppiche, die ja eher Requisiten bei Staatsbesuchen sind, im Fusionsbereich keine Rolle, allenfalls dann, wenn es sich nicht um Fusionen, sondern Erweiterungen oder Übernahmen handelt, die vielleicht gerade darum abgelehnt werden. Dass «Grossbern» jetzt gescheitert sei, liest man als Reichsdeutscher ja immer noch mit einem leichten Schauder, und tatsächlich hat Österreich seinem verlorenen Sohn 1938 einen sehr grossen, sehr breiten Teppich ausgerollt. Adolf Hitler hatte immer wieder erklärt, seine Braut sei Deutschland, und hätte es das Internet und «hauptstadt.be» schon gegeben, dann wäre der Artikelbeginn «Die Braut sagt Ja! Die Stadt Wien rollt dem Führer den roten Teppich aus. Ein Debakel – vor allem für die, die nicht mitrollen wollen» ausnahmsweise in Ordnung gegangen. Auch die Sudetendeutschen haben dem unvergesslichen Braunauer den Teppich ausgerollt und mussten dann ihre Teppiche den Tschechen überlassen, was Grund zu jahrzehntelanger Jammerei war, weil man Unrecht nämlich nicht mit Unrecht vergelten darf. Andererseits schallt es aus dem Wald so heraus, wie man hineingerufen hat, und wie es so ist mit Fusionen, sie können auch scheitern.
In Ostermundigen hatte eine Mehrheit jetzt jedenfalls keine Lust, Teil von Grossbern zu werden, denn, wie Gemeindepräsident Thomas Iten zu Protokoll gab: «Unsere Gemeinde hat sich in den letzten Jahren von der grauen Maus zu einer lebendigen Agglo-Gemeinde gewandelt. Die Mehrheit hat den Eindruck, dass Ostermundigen stark genug ist, um die Zukunft allein zu meistern.» Immerhin ist das legendäre «Bond-Girl» Ursula Andress aus Ostermundigen, und Michelle Hunziker ist dort aufgewachsen, deren Tochter – steckt mir das Internet ungefragt – «Aurora Hunziker-Ramazotti» heisst. In Ostermundigen wollen sie aber mit der deutlichen Mehrheit von 57 Prozent nicht aus «Bern Ostermundigen» kommen, sondern weiterhin aus Ostermundigen, denn es ist eine historische Ausnahme (Ostmark!), dass die Kleinen im Grossen aufgehen wollen.
Nun war das Österreich der Zwischenkriegszeit aber auch kein lebendiges Agglo-Land, sondern eine graue bis braune Zumutung aus Nazis, Kaisertreuen und Antisemitinnen, und der Berner Stadtpräsident «Sir» Alec von Graffenried, «der seit Jahren für ein ‹Grossbern› – den Zusammenschluss verschiedener Agglo-Gemeinden mit der Stadt Bern – geweibelt hat» (srf.ch), will auch nicht ein paar Divisionen vorbeischicken, sondern den Entscheid «akzeptieren».
Das alemannische Wort «weibeln» bleibt im Hochdeutschen derweil unbekannt und heisst, weiss das Grimmsche Wörterbuch, «sich wie ein weibel gehaben, geschäftig thun, agitieren, aufbieten», ist aber eine Zeit lang auch in der schlichten Bedeutung «ein wenig weibisch sein» bekannt. Und das ist schon der ganze Unterschied: hier der resolute Führer, der sich seine Braut nimmt, dort der ein wenig weibische Schweizer Demokrat, der sich dann aber auch nicht wundern muss, denn Nein heisst Nein, und das ist auf jeden Fall zu beherzigen.
Nun bleibt Grossbern eben Kleinbern und erspart der Welt den Witz, der im Wort «Grossbern» selbst liegt. Als «von der Vorsehung gesandter Schöpfer von Grossbern» wird Graffenried also nicht in die Geschichte eingehen, doch haben, was ihn trösten mag, Imperien auch nicht mehr den guten Ruf von einst.
Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.
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