Diesseits von Gut und Böse: Expertisen aller Art

Nr. 50 –

Vor ein paar Tagen hat ein Mann in Sitten eine Frau und einen Mann erschossen. Der Täter wurde inzwischen gefasst, er ist geständig. Weil bei der Fahndung persönliche Daten und ein unverpixeltes Bild des Mannes veröffentlicht wurden, weiss man, wer er ist. Er soll in seinem Umfeld öfter Streit gehabt und bedrohliche Videos verschickt haben.

Zu den Einzelheiten hält sich die Polizei bedeckt. Ganz im Gegensatz zu Expert:innen, die sich jetzt schon über den Täter und seine Motive verbreiten. Ein Laienexperte weiss sofort: Der Täter ist ein Psychopath. «20 Minuten» befragte sicherheitshalber noch einen forensischen Psychiater. Auch wenn der den Mann gar nicht kennt, vermutet er unter «So tickt der Täter», dass der Täter «als gewaltbereite Person mit Verhaltensproblemen und wenig sozialen Kompetenzen […] an vielen Orten nicht so recht dazu gepasst hat und demnach des Öfteren Zurückweisung erlebte». Dass er «die Taten sofort gestand, könnte davon zeugen, dass der Mann die Schwere seiner Delikte einsieht».

Der Täter wurde übrigens einst verurteilt, weil er den Militärdienst verweigert hatte. Heisst das jetzt, dass die Verweigerer auch nicht alle so friedlich sind, wie sie immer tun? Andererseits habe ihn die Polizei zuvor nicht als «Gefährder» eingeschätzt. Wie auch? Schliesslich ist er kein Ausländer und – so weit bekannt – auch nicht Muslim.

Etwas schräg mutet die Vermutung der Behörden an, es gebe «momentan keine Anzeichen für Femizid». Da hat die Getötete ja noch richtig Glück gehabt, denn wörtlich bedeutet Femizid Tötung einer Frau. Aber als solche gilt der Femizid offenbar erst, wenn Täter und Opfer zuvor eine wie auch immer entgleiste «Liebesbeziehung» hatten. Doch weil in diesen Fällen häufig mildernde Gründe in den verletzten Gefühlen des Täters gesucht werden, kanns für die Rechtsprechung auch von Vorteil sein, wenn so ein Frauenmord gar kein Femizid war. Es bleibt spannend.