Diesseits von Gut und Böse: Pfeifen im Wald?

Nr. 2 –

«Nicht bei uns! Gegen Rassismus und Antisemitismus», rufts derzeit überall von grossen Plakaten herab. Die Kampagne der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus lässt mich etwas ratlos zurück: Was will mir dieses entschiedene «Nicht bei uns!» denn sagen?

Ich beginne mit der zynischen Deutung: Rassismus und Antisemitismus gibt es hier! bei uns! in der Schweiz! nicht! So ist es sicher nicht gemeint, und doch dürfte ein nicht unbeträchtlicher Teil der einheimischen Bevölkerung genau dieser Auffassung sein. Es sind jene Bürger:innen, die bis heute fest daran glauben, dass es weder mit Rassismus zu tun hat, wenn man lieber keine Schwarze Familie als Nachbar:innen hat, noch mit Antisemitismus, wenn man doch einfach weiss, wie clever Juden und Jüdinnen Geschäfte betreiben.

Die wahrscheinlichere Deutung des «Nicht bei uns!» dürfte in der Aufforderung bestehen, jeder Form von Rassismus und Antisemitismus, der man bei sich selbst und anderen begegnet, entschieden entgegenzutreten.

Natürlich auch bei sich selbst, denn wer in den letzten Jahrzehnten hier in Europa sozialisiert wurde, kann kein Weltbild haben, das frei von rassistischen, antisemitischen und islamophoben Vorurteilen ist. Und sich damit auseinanderzusetzen, kann durchaus befreiend wirken.

Eine merkwürdige Art der Selbstprüfung bietet die Stiftung auf ihrer Website an, denn der dort aufgeführte «Test» enthält keinerlei Rückmeldungen und ermöglicht so auch keine Selbstreflexion. Dort heisst es zwar: «Bist Du Antisemit:in/Rassist:in? Falls ja, warum? Falls nein, warum nicht?», aber diese Fragen muss man sich, ohne die Kriterien für deren Beurteilung zu kennen, selbst beantworten.

Auch die Frage, welche «Eigenschaften» oder «erhöhten Neigungen» Schwarze und Juden nach Meinung der Testperson denn hätten, lässt diese damit allein, was ihre Antwort überhaupt aussagt. Und so bleibt frommes Wunschdenken, dass die Frage – «Von 1 bis 10, wie rassistisch/antisemitisch bist Du?» – am Ende zu einer kritischen Selbsteinschätzung führen könnte.

Mich erinnert die Kampagne ans berühmte Pfeifen im Wald. Denn was sich derzeit in der Schweiz und in anderen Demokratien abspielt, macht Angst. Aber lautes Pfeifen ist immerhin mal ein Anfang.