Diesseits von Gut und Böse: Ein akutes Bildungsproblem

Müsste ich einen Artikel über Kälbermast schreiben, stünde ich erst mal wie die sprichwörtliche Kuh am Berg. Mir bliebe nichts anderes übrig, als eine ausgewiesene Fachperson, zum Beispiel beim Forschungsinstitut für biologischen Landbau, zu befragen oder meine diesbezüglich bestens gebildete Kollegin Bettina Dyttrich. Unter Umständen könnte ich sogar den SVP-Nationalrat Marcel Dettling beiziehen. Der Mann betreibt schliesslich eine Kälbermast, sollte also vom Thema etwas verstehen.
Bei diversen Themen wie Leinenweberei, Königspudelzucht, Atomphysik oder Klimawandel ginge es mir ähnlich: Bevor ich mich öffentlich dazu äusserte, würde ich versuchen, meinen Wissensradius unter Zuhilfenahme einschlägiger wissenschaftlicher Publikationen zu erweitern.
Das unterscheidet mich – neben hoffentlich noch anderen Eigenschaften – von Marcel Dettling. Wie der zukünftige SVP-Präsident zu Leinenweberei und Königspudelzucht steht, weiss ich nicht. Aber der Klimawandel scheint, so weit ich es beurteilen kann, nicht zu seinen Spezialgebieten zu gehören. Trotzdem spricht er schon lange immer wieder gerne darüber.
«Es ist mir lieber, wenn es wärmer wird als kälter», sagte er letzthin in der «NZZ am Sonntag», denn als Kind sei er vom vielen Weiss um sich herum im Winter fast depressiv geworden. Der Mensch allein sei für den Klimawandel nicht verantwortlich. «Es gibt eine höhere Macht. Massnahmen werden kaum etwas bringen.» Viel wichtiger sei es, dass wir uns anpassten: «Wir können neue, gegen die Dürre resistentere Sorten züchten.»
Nach der Hirse kommen dann die Sukkulenten, stelle ich mir vor. Es gibt köstliche Kaktusgerichte. Vielleicht hält Dettling die Menschen aus noch trockeneren Ländern, die verzweifelt den Weg nach Europa suchen, bloss für schnäderfrässig, weil sie nicht gern Kakteen essen. Aber auch da weiss er Rat: Grenze zu, Flüchtling weg.
Wenn ichs mir recht überlege, würde ich mich auch mit Fragen zur Kälberzucht lieber nicht an Marcel Dettling wenden.