Leser:innenbriefe
Sich auf Fremdes einlassen
«Schullektüre: Leseschwäche oder bloss die falschen Bücher?», WOZ Nr. 7/24
Vielen Dank für Ihren gut recherchierten, reichhaltigen Artikel über ein wichtiges Thema. Hier ein paar Gedanken aus der Perspektive eines älteren (Generation X) Gymilehrers für Deutsch und Philosophie, der im Nebenberuf Mitinhaber einer kleinen, altmodischen Zürcher Buchhandlung ist.
Dass mir Schüler:innen sagen, sie freuten sich darauf, nach der Matura endlich Zeit zum Lesen zu haben, beschäftigt mich schon. Damit meinen sie nämlich, dass sie dann endlich wieder lesen könnten, was sie gerne lesen, und nicht die Pflichtlektüre für die Schule. Ich frage mich allerdings auch, warum das heute ein solcher Gegensatz ist und ich es früher ganz anders erlebt habe. Ich las als Schüler selbstentdeckte oder von Familie und Freunden empfohlene Literatur von Niklaus Meienberg, Oriana Fallaci, Boris Vian oder dem Marquis de Sade. Aber nicht weniger gern Homer, Sappho, Goethes «Werther» und Thomas Manns «Doktor Faustus», die uns in der Schule vorgesetzt wurden.
Ich bin sicher, die Schulen machen vieles falsch (vor allem, dass sie immer noch an den Noten festhalten), aber ist es wirklich ganz allein ihre Schuld, wenn die Lesekompetenz zu wenig oder falsch gefördert wird? Liegt es nicht auch ein wenig an den audiovisuellen Angeboten, denen viele junge Menschen gerne und früh ihre Zeit widmen? Liegt es nicht auch am gesellschaftlichen Kontext, der den leichtestmöglichen Konsum propagiert?
In den folgenden Punkten gebe ich Ihnen recht und bin ich auch selbst nicht mit mir zufrieden: An den Schulen sollten mehr Autorinnen, mehr Gegenwartsliteratur, mehr Überraschendes gelesen werden. Und es sollte mehr Gelegenheit zur individuellen Wahl geben. Zumindest in den höheren Klassen versuche ich das mit brandneuer Literatur, und so lesen Gruppen von Schüler:innen Eleonore Frey, Teresa Präauer oder Kim de l’Horizon.
Aber ich habe auch ein paar Fragezeichen: Nichts gegen «Tschick» oder «Löcher», aber sind diese Bücher wirklich so viel interessanter als Frisch und Dürrenmatt? Und muss der Inhalt immer so nah wie möglich an den «jugendlichen Lebenswelten im Jahr 2024» sein? Ist es nicht gerade wichtig und spannend, sich auf ganz Fremdes, auch auf «aus der Zeit Gefallenes», einzulassen? Das heisst allerdings auch, dass wir an den Schulen mehr nichtwestliche Literatur lesen könnten und sollten.
Keine Frage, auf diejenigen, die wirklich Mühe mit dem Lesen haben, muss die Schule eingehen. Aber ich fände es falsch, wenn «Leseschwäche» zum allgemeinen Massstab würde und das sprachliche Niveau so tief wie möglich gehalten würde. Junge Leser:innen machen sich vielleicht auch zu klein, wenn sie immer das «Einfache» und Mehrheitstaugliche suchen. Sie sollten die Auswahl ihrer Lehrer:innen auf jeden Fall kritisieren, aber sie dürften auch einmal das verlangen, was für die Alten zu schwierig und zu schräg ist.
Michael Pfister, Küsnacht
Jede Stimme für das Ufer
«Zürcher Uferinitiative: ‹That would be great!›», WOZ Nr. 8/24
Von «Klassenkampf am Ufer» war in der WOZ die Rede. Da findet tatsächlich ein unglaublich frecher Klassenkampf statt, aber einer von oben: Die Lobby der Villenbesitzer behauptet, diese hätten etwa 400 Millionen zugut, wenn der Seeuferweg gebaut würde. Fakt ist aber, dass die meisten Seeufer-Liegenschaften auf sogenanntem Konzessionsland gebaut sind, das heisst auf ehemaliger Seefläche.
Als der Kanton vor über hundert Jahren diese Flächen für die Aufschüttungen freigab, hat er in den jeweiligen Konzessionsurkunden festgehalten, dass er später noch zu jeder Zeit für öffentliche Zwecke das Land ohne Entschädigung beanspruchen kann. Wer eine Liegenschaft am See gekauft hat, hat immer gewusst, dass dort dereinst ein Uferweg gebaut werden kann, und hat entsprechend weniger bezahlt.
Und jetzt wollen die, die spekulativ viel zu viel bezahlt haben, einen Marktwert, ohne einen Abschlag wegen der Konzessionsurkunde, von den Steuerzahlenden einheimsen. Sonst wollen die Bürgerlichen immer Steuern sparen, aber nun will der bürgerliche Regierungsrat seinen Freunden am Seeufer 400 Millionen schenken! Das ist nicht Eigentums-, sondern Profitgarantie, und die gibt es in der Bundesverfassung zum Glück (noch) nicht. Darum Ja am 3. März im Kanton Zürich!
Christian Thomas, Zürich
Unfaires Vorgehen
Zur Initiative für eine 13. AHV-Rente
Über 100 000 Unterschriften waren nötig für das Zustandekommen der Initiative für eine 13. AHV-Rente. Darüber stimmen wir am 3. März ab. Die Argumente der Gegner sind fadenscheinig. Mit der Annahme der Initiative ist der Bundesrat verpflichtet, dem Parlament einen Gesetzesentwurf zu unterbreiten. Das Parlament diskutiert diesen und regelt die Finanzierung. Danach hat das Volk die Möglichkeit, ein Referendum gegen diese Vorlage zu ergreifen. Die Einmischung der Altbundesräte und des Bundesrats sowie der Parteien schmälert das Volksrecht der Initiative, wenn dieses Vorgehen dem Volk im Abstimmungsbüchlein unterschlagen wird. Mit demselben Argument der Nichtfinanzierbarkeit ist auch die Initiative für höhere Kinderzulagen gebodigt worden.
Dieses Vorgehen der ablehnenden Parteien ist höchst unfair. Man macht dem Volk im Voraus Angst, ohne auf den Prozess bei einem Ja und auf die Möglichkeit eines Referendums hinzuweisen. Im Übrigen weiss das Stimmvolk nicht, dass man auf die AHV aus administrativen Gründen nicht verzichten kann. Mit einer Gesetzesänderung könnte all denen die Möglichkeit zum Verzicht geschaffen werden, die nicht auf die AHV angewiesen sind.
Hans Peter Häring, Wettswil