Diesseits von Gut und Böse: Tote Tyrannen betrauern

Wenn jemand gestorben ist, den man nicht näher kannte, kommt die Frage auf, was sich denn jetzt gehört: den Hinterbliebenen kondolieren? Wenn ja – mit vorgedruckter Beileidskarte oder handschriftlich? Und wenn überhaupt – was soll man schreiben? Es ist eine Frage der Etikette.
Das ist in Regierungskreisen ähnlich, doch dort gilt es als Angelegenheit höherer Diplomatie. Also fragen sich nach dem Helikopterabsturz mit dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi jetzt Staatsoberhäupter rund um den Globus: Kondolieren wir, weil sichs gehört? Oder freuen wir uns, dass das Scheusal tot ist, und schweigen lieber?
Während ähnliche Regimes dem iranischen Staat einhellig ihr Beileid aussprechen, ist man sich im Westen nicht einig, was angemessen ist. Präzedenzfälle gibts keine, ist doch nichts dazu überliefert, ob westliche Staatsoberhäupter nach dem Ableben von Pol Pot, Idi Amin oder Saddam Hussein den hinterbliebenen Völkern ihr Beileid aussprachen. Jetzt hat sich neben dem deutschen Bundeskanzler und dem EU-Ratspräsidenten auch Aussenminister Ignazio Cassis entschieden, den an der Macht bleibenden Mullahs sein Beileid auszusprechen, und der Uno-Sicherheitsrat erhob sich gar für eine Schweigeminute.
Das sei diplomatisch geboten, heisst es, man wolle die Türen nicht für vertrauensvolle Gespräche und Gute Dienste zuschlagen. Wie diese den gefolterten und hingerichteten Menschen im Iran bisher halfen, zeigt sich daran, wie das Regime die geplanten Trauerfeierlichkeiten gerade dazu nutzt, Menschen, die sich über den Tod des «Schlächters von Teheran» freuen, noch schärfer zu verfolgen.
Ach was! Von wegen Gute Dienste und vertrauensvolle Gespräche: It’s the economy, stupid!