Auf allen Kanälen: Links­extremismus, der

Nr. 23 –

Die Berichterstattung über radikale Linke nimmt immer absurdere Wendungen.

stilisiertes Foto einer Person welche Kampfsport trainiert

Es gibt eine Szene in «Unrueh», Cyril Schäublins Film über die anarchistischen Uhrmacher:innen im Jura des späten 19. Jahrhunderts: Der Besitzer der Uhrenfabrik trifft da den italienischen Botschafter, und ob einer Zündholzschachtel, auf der «Eigentum ist Diebstahl» steht, geraten die beiden in ein Gespräch über die revolutionären Umtriebe im Tal. Der italienische Botschafter ist besorgt, dass hier anarchistische Bücher und Broschüren gedruckt würden, die in ganz Europa Verbreitung fänden. Der Fabrikbesitzer, seines Zeichens auch Nationalrat, entgegnet gelassen, es gelte nun mal Pressefreiheit, ob der Botschafter nicht die anarchistische Presse lese? Diese sei viel informativer als die bürgerliche, dank der Artikel habe er die Krise antizipieren und viel Geld retten können. Er könne die Lektüre wirklich empfehlen.

Radikale Fingernägel

Man stelle sich einfach mal vor, ertappt man sich bei dieser Szene sehnsüchtig denkend, so ein Fabrikbesitzer und Nationalrat würde sich heute tatsächlich revolutionäre Positionen zu Gemüte führen. Und man blättert durch die aktuellen Zeitungen und muss feststellen: Die Auseinandersetzung mit radikalen Linken, konsequent als «die Linksextremen» bezeichnet, sie kennt in diesem Land nur eine Ebene: die der hochtemperierten Empörung.

Da berichtet beispielsweise die NZZ kurz vor dem 1. Mai ausführlich über «linksextreme» Gruppen, findet jedoch irgendwie nichts Handfestes heraus und beschreibt stattdessen vermeintlich deutungsmächtige Details: Der Unterstützer in einem Gerichtsprozess gegen einen linken Aktivisten trage lackierte Fingernägel. Titel: «Sie solidarisieren sich mit Terroristen und hassen den Staat».

Oder da will es eine Woche später, nach den Krawallen in der Nähe der Berner Reitschule, dann auch die «Rundschau» wissen und schlägt in vierzehn Sendeminuten einen sagenhaften Bogen: von der mutmasslichen Täterschaft in Bern über eine St. Galler Juso-Stadträtin, die auch schon einen Wald besetzte, über Cédric Wermuth zwischen Festbänken am 1. Mai zu Videos französischer Antifa-Gruppen und Bilder zerschlagener Gesichter aus Deutschland, mutmassliche Täterschaft: die Hammerbande um Lina E. Die einordnende Klammer dazu liefert Adrian Oertli, dessen einzige Qualifikation seine Jahre zurückliegende negative Erfahrung mit linken Gruppen ist, die offenbar ausreicht, um ständig als Experte zu diesem Thema aufzutreten und Dinge sagen zu können wie: die Juso sei schon okay. Man hat am Schluss nichts gelernt, ausser dass gewalttätige Linke weiblich oder in Frankreich sind und irgendwas mit Cédric Wermuth zu tun haben könnten.

Immer aggressiver

Das vielleicht schönste Beispiel für eine erratische Analyse «der Linksextremen» liefert aber die «SonntagsZeitung» am vergangenen Wochenende, ein Artikel wie eine Suppe, gekocht von einem dreijährigen Kind: einfach mal alles rein. Der Artikel beginnt damit, dass in den frühen Morgenstunden des 25. Mai in Zürich zwei junge Frauen einer Polizeipatrouille den Weg versperrten und deren Polizeiauto «mit Schlägen und Tritten» traktierten. Man muss sich das kurz vor Augen führen: Ein Auto wird mit Schlägen traktiert.

Diese beispiellose Gewalt reicht als Aufhänger für eine Geschichte mit dem Titel «weiblich, links, aggressiv», in der eine Studie aus Schweden über gewalttätige Frauen beigezogen wird, deren Autor:innen selbst auf mögliche Stereotypisierungen und Verzerrungen hinweisen, was im Artikel unerwähnt bleibt. Die Soziologin Katja Rost, Expertin in der tendenziösen Auslegung von zweifelhaften Studien, sagt dazu, dass staatliche Gleichstellungsmassnahmen Frauen dazu legitimieren würden, immer aggressivere Forderungen zu stellen, und dass häusliche Gewalt durch Frauen zugenommen habe, worauf die «SonntagsZeitung» auf Andrea Stauffacher vom Revolutionären Aufbau Zürich zu sprechen kommt und natürlich wieder auf Lina E. Das traktierte Polizeiauto ist längst vergessen. Man hat auch hier wieder nichts gelernt, ausser dass Frauen aggressiv seien. Das Ziel dieser Artikel scheint letztlich einfach zu sein, zur freien Interpretation einladende Deutungsmuster über gewalttätige Linke zu verbreiten.

Wir empfehlen den Autor:innen dringend jegliche Lektüre, und sei es nur des Wikipedia-Artikels zu «Linksextremismus».

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Kommentare

Kommentar von simbrubie

Mo., 10.06.2024 - 11:44

Ich bin froh, fällt das nicht nur mir auf. Es scheint mir, je mehr der Bevölkerung die Gefahr bewusst wird, der von bewusst wird, die von der international organisierten sog. "Neuen Rechten" ausgeht, umso stärker legen die Medien den Fokus auf "Linksextremismus".
Die Ablenkungsmanöver scheinen Erfolg zu haben, betrachtet man die Wahlergebniss der Europawahl in Deutschland und Frankeich.