Diesseits von Gut und Böse: Musik zum Weglaufen
Wer nicht will, dass Marder im Estrich rumoren oder Leitungen anknabbern, greift zu sogenannten Vergrämungsmassnahmen wie der elektronischen Marderscheuche. Was bei sensiblen Wildtieren geht, funktioniert sicher auch bei Menschen, dachte man sich da bei den SBB, weil es bei Ein- und Ausgang am Bahnhof Bern, wo Reisende und Nichtreisende sich gegenseitig im Weg sind, oft zu heftigem Gedränge kommt.
Da nur sehr wenige Menschen auf Ultraschalltöne reagieren, versuchte man’s mit Musik und kam nach mehrmonatigem Pilotversuch zum Schluss: Es funktioniert, und zwar vormittags mit Ambientmusik und nachmittags mit Klassik. «SBB verscheuchen Menschen mit klassischer Musik», hiess es da auf blick.ch, die NZZ schrieb: «Mit klassischer Musik gegen Randständige», und auf bluewin.ch wurde man fast lyrisch: «Mit Musik machen die SBB den Reisenden im Bahnhof Bern Beine.»
Wie srf.ch berichtete, zeigten positive Erfahrungen aus Städten im Ausland, «dass die Dauerbeschallung Drogenhändlern, Obdachlosen oder anderen ungebetenen Gästen derart auf die Nerven geht, dass sie sich lieber woanders aufhalten». Laut NZZ animieren in Bern vor allem Chopin, Mozart und Debussy zum Weitergehen, während Vivaldi und Bach bei einem früheren Versuch in La Chaux-de-Fonds wirkungslos blieben.
Die Massnahme wird nicht überall positiv aufgenommen. Einmal, weil sie dazu gedacht ist, Menschen zu vertreiben. Zum anderen sind die Fans klassischen Musikschaffens ein bisschen beleidigt, dass Mozart zum Weglaufen animieren soll. Aber schon vor über zwanzig Jahren, als man die Methode in Hamburg testete, sagte ein Musikpädagoge im «Spiegel», «dass höhere Frequenzen zum Beispiel der Geige als physischer Schmerz erlebt werden können».
«Ambient» musste ich erst googeln. Als «reduziert, modern, ausbalanciert, kühl, aber nicht frostig» wird der Stil in der «Zeit» beschrieben, eine Hörprobe zeigt: nicht mein Ding. Doch womit man mich wirklich verjagen könnte, verrate ich hier lieber nicht. Die Massnahme soll nämlich auch noch in anderen Bahnhöfen getestet werden, und ich will die SBB nicht auf dumme Ideen bringen.