Im Affekt: Wer schön sein will, muss sich verpuppen

Am Anfang komme immer der «morning shed», die «frühmorgendliche Entpuppung», verriet kürzlich eine Skincare-Influencerin, die mir in die Timeline gespült wurde. Jeden Tag um 5 Uhr entferne sie ihr «mouth tape» (ein Pflaster, das die Mundatmung verhindern und so die Schlafqualität steigern soll), ihre Kollagenmaske (für die Haut) und den Rizinusölpatch, den sie sich allabendlich auf den Bauch klebe (das war mir neu).
Rizinusöl, das ich bisher nur als Abführmittel kannte, trendet gerade unter diversen Hashtags. Offenbar ist es eine wahre Wunderwaffe: Über Nacht soll es den Körper entgiften, den Hormonhaushalt ausgleichen und Stress reduzieren. Mein Stresslevel aber stieg sofort. Instagram schärft mir seit Monaten ein, die Poren auf meiner Nase seien ein Riesenproblem. Muss ich mir jetzt wirklich auch noch dieses Öl in den Bauchnabel träufeln?
Dabei hört es mit Rizinus nicht auf. Besagte Influencerin ist eine Biohackerin – ein Trend, der den Alterungsprozess verlangsamen (oder gar umkehren!) soll. Ihre «morning routine» geht nahtlos über in einen hyperstrukturierten Tagesablauf: Im Viertelstundentakt nimmt sie Eisbäder, absolviert «workout sessions», schluckt Ergänzungsmittel und Proteine.
Selfcare auf groteskem Niveau gibt es aber auch für Alphamänner. Das wohl bekannteste Beispiel ist der Multimillionär Bryan Johnson, der mit 47 aussieht wie eine schlechte Kopie seines Teeniesohns. Er machte Schlagzeilen, weil er sich Spenderfett ins Gesicht spritzen liess, was eine schwere allergische Reaktion auslöste. Wer jetzt an die Hollywoodsatire «The Substance» (2024) denkt, die diesen Schönheitswahn zum Horrortrip subvertiert, liegt gar nicht so falsch.
Johnson lässt sich seine Beautyroutine zwei Millionen US-Dollar im Jahr kosten. Das Öl ist mit dreissig Dollar pro Patch einiges erschwinglicher – aber auch nutzlos. Keine der oben angepriesenen Wirkungen, war kürzlich bei «20 Minuten» zu lesen, ist wissenschaftlich erwiesen. Immerhin: ein Stressfaktor weniger.
«The Substance»-Darstellerin Demi Moore lässt sich privat von «hochqualifizierten medizinischen Blutegeln» entgiften. Vielleicht wäre das was?