Diesseits von Gut und Böse: Theorie und Praxis

Nr. 17 –

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Am Gründonnerstag begab sich Folgendes: Nicolas Rimoldi, geistiger Führer der Bewegung «Mass-voll», auch bekannt als «Schwurbeljesus», versetzte dem EDU-Grossrat Samuel Kullmann in Bern auf offener Strasse eine Ohrfeige.

Auslöser war ein Vorgang, der demokratischer nicht sein könnte und in den meisten Ländern der Erde seinesgleichen sucht: Unterschriften sammeln gegen ein geplantes Gesetz. Im Januar hatten diverse Gruppen gegen die Einführung einer elektronischen Identitätskarte (E-ID), diesmal vom Staat produziert, das Referendum ergriffen. Rimoldi und Kullmann, Vertreter verschiedener Komitees, die von Anfang an im Streit lagen, waren sich anscheinend auch uneins, an welchem Tag man die gesammelten Unterschriften – gemeinsam – einreichen wolle.

So stand EDU-Politiker Kullmann mit seinen Kartons schon am Donnerstag vor dem Bundeshaus, während Rimoldi davon ausgegangen sein will, man habe das erst für den Dienstag nach Ostern geplant. Wie dem auch sei: Als Rimoldi danach auf Kullmann traf, schmierte er ihm eine.

Interessierten bietet der Vorfall einiges. Zum einen lehrt er, dass die direktdemokratische Praxis, ohne handgreiflich zu werden, menschlich anspruchsvoll ist. Zum anderen können sich Dialektaffine an der Vielfalt des Schweizerdeutschen erfreuen. So nannte der Geohrfeigte den erhaltenen Schlag «en Chlapf», während der Ausführende seine Tat bar jeglicher Reue als «Flättere» bezeichnete.

Wer noch nie einem andern gern links und rechts eine geknallt hätte, werfe den ersten Stein. Erst die reale Umsetzung macht den Gedanken zum Problem. Den christlichen Zielen seiner Partei folgend, schlug Kullmann nicht zurück, will Rimoldi aber vor einem weltlichen Gericht anzeigen. Am Dienstag hat auch Rimoldi seine Unterschriften deponiert, das Referendum kommt vermutlich zustande. Ohne christlich oder verschwurbelt zu sein, hab auch ich meine Bedenken. Die uralte Testfrage «Würden Sie diesem Mann einen Gebrauchtwagen abkaufen?» lautet nämlich heute: Würden Sie dieser Regierung den Schutz Ihrer Daten anvertrauen?