Diesseits von Gut und Böse: Mannomann
Wie lange es her ist, seit Herbert Grönemeyer sich fragte: «Wann ist ein Mann ein Mann?», merkt man spätestens, wenn man sich bewusst macht, dass Leute, die damals geboren wurden, heuer ihren 41. Geburtstag feiern. Inzwischen hat sich hinsichtlich Männlichkeitsvorstellungen zwar einiges getan, doch manchmal fühlt sichs an, als hätten wir wieder die 1950er.
In einem SRF-Dokfilm über vier ehemalige «Mister Schweiz» (falls Sie sich erinnern: Es gab sage und schreibe neunzehn ihrer Art!) sagt der 1996 gewählte Adel Abdel-Latif, Männlichkeit bedeute heute für ihn: «Er muss sich, seine Liebsten und seine Familie beschützen können.» Nun gut – der Fokus ergibt sich vermutlich, wenn man als alleinerziehender Vater, Kickboxer und millionenschwerer Investor in Dubai lebt.
Nicht explizit, um ihre Familie zu schützen, aber um «das traditionelle Familienmodell des männlichen Alleinernährers wieder attraktiver» zu machen (so ein Arbeitsökonom im «Tages-Anzeiger»), bekämpfen bürgerliche Schweizer die Teilzeiterwerbsarbeit – bei Männern natürlich! –, allen voran FDP-Ständerat Damian Müller* (weder Frau noch Kinder, dafür Pferde) und SVP-Nationalrat Mike Egger (noch keine Kinder, aber verheiratet mit der Tochter der künftigen FDP-Teilzeitparteipräsidentin).
Dass selbst der Wahn lebt, Schmerzunempfindlichkeit sei eine männliche Tugend, zeigte kürzlich ein Blick in die Schweizer Hochburg überholter Männlichkeitsrituale, das Militär. Ein Schuldspruch des Militärgerichts machte öffentlich, dass dort nach wie vor sogenannte Hamburgertaufen stattfinden – der Begriff entstammt der Vorstellung, Rekruten würden in der RS zu «Hackfleisch» gemacht, um sie anschliessend zu «Hamburgern» zu formen.
2018 hatten eine Kommandantin (!) und mehrere Offiziere 22 Rekruten zur Feier von deren Beförderung zu Soldaten so mit Schlägen traktiert, dass der Truppenarzt Blutergüsse und Rippenbrüche feststellte und Strafanzeige einreichte. «Ich toleriere bis zu zwei gebrochene Schlüsselbeine», soll die Kommandantin ihre Unteroffiziere zum Prügeln ermuntert haben; sie habe Angst gehabt, «nicht kämpferisch genug» zu wirken.
Doch all das Genannte sind Kinkerlitzchen, vergleicht man es damit, was der enthemmte Männlichkeitswahn derzeit weltweit anrichtet. Und nein, damit meine ich nicht, Frauen seien grundsätzlich bessere Menschen, sie haben beim Machtpoker bloss die schlechteren Karten gezogen.
Dass auch Despoten und Diktatoren Angst haben, versteht sich von selbst. Aber damit, dass hinter Putin auf Reisen immer ein Leibwächter mit des Herrschers gesammelter Scheisse herläuft, befassen wir uns ein andermal.
* Korrigenda vom 11. September 2025: In der Printversion sowie in der ursprünglichen Onlineversion wurde Damian Müller versehentlich als Nationalrat bezeichnet, er ist aber Ständerat.