Die Internationale der Zensoren

Le Monde diplomatique –

Vor unseren Augen entsteht gerade eine Achse – nicht die des „Bösen“, also der Feinde des Westens. Auch nicht die von Donald Trump und Wladimir Putin. Es ist eine viel breitere Allianz, und dennoch kaum bemerkt: die Internationale der Zensoren, in der sich Autokraten, Demokraten und Bürokraten vereinen.

Sechs Tage nach seinem zweiten Amtsantritt verbot Donald Trump der U. S. Air Force, die Geschichte der Schwarzen Piloten im Zweiten Weltkrieg zu erzählen. Begriffe wie Diversität, Diskriminierung, Geschlecht verschwanden von den Internetseiten der Regierung. Kurz darauf unterschrieb Trump ein Dekret gegen ausländische Studenten, die sich propalästinensisch äußern, wegen „Unterstützung des Dschihad“. Am 8. März verhaftete die Polizei daraufhin den Studenten Mahmoud Khalil von der Columbia University.

Auch in Europa sind Maulkörbe in Mode gekommen. In Frankreich haben ein früherer Präsident, zwei ehemalige Premierminister, zahlreiche Bürgermeister und Abgeordnete – aus rechten Parteien wie aus sozialistischen – dazu aufgerufen, Antizionismus als Form des Antisemitismus in das Gesetz aufzunehmen. Damit würde eine Meinung, die von linken Aktivisten ebenso vertreten wird wie von ultraorthodoxen Juden, strafrelevant.

Auch mit dem Ukrainekrieg wird Zensur gerechtfertigt. 2022 verbot die EU die russischen Sender RT und Sputnik. Die Entscheidung wurde von Präsident Macron begrüßt, der auch nicht protestierte, als das israelische Parlament im Mai 2024 den katarischen Sender Al Jazeera verbot. In Rumänien wurde im Dezember 2024 der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahlen annulliert, weil ein Kandidat, der dem Kreml nahesteht, einen zu großen Vorsprung hatte. Die erneute Kandidatur wurde ihm untersagt wegen mutmaßlicher russischer Einmischung über soziale Medien. „Unser Informationsraum ist das geopolitische Schlachtfeld, auf dem wir gerade den Krieg verlieren“, warnte die Chefdiplomatin der EU Kaja Kallas im März und verglich die Verbreitung von Fake News mit der Verletzung der territorialen Integrität.

Die bisher für autoritäre Regime typische Kriminalisierung politischer Gegner erreicht die Demokratien. Das in Deutschland seit 1. Januar 2018 gültige Netzwerkdurchsetzungsgesetz zur Kontrolle der sozialen Medien ist so vage formuliert, dass es laut Human Rights Watch einen gefährlichen Präzedenzfall für andere Länder darstellt, „welche die Meinungsfreiheit im Netz einschränken wollen“. Kritik kam auch vom PEN Berlin.

Finstere Diktatoren und aufgeklärte Liberale, religiöse Fanatiker und empörte Aktivisten, alle tanzen nach der Pfeife der Zensoren und folgen, wie der liberale Vordenker Benjamin Constant 1814 schrieb, der „bemerkenswerten Neigung, alles weit von sich zu weisen, was die kleinste Unannehmlichkeit mit sich bringt, ohne zu überprüfen, ob dieser überstürzte Verzicht nicht vielleicht anhaltende Unannehmlichkeiten nach sich zieht“. Denn auf den Sieg der einen Seite folgt die Rache der anderen. Und am Ende solcher Kämpfe ist nur eines sicher: ein Freiheitsverlust für uns alle.

Benoît Bréville