Umweltkrise im Südirak: Wo einst die Palmen blühten

Nr. 18 –

Anhaltende Dürre, austrocknende Flüsse, vergiftete Böden: Nur wenige Staaten sind derart von der Klimaerhitzung betroffen wie der Irak. Besonders dramatisch ist die Lage am Delta von Euphrat und Tigris. Unterwegs mit jenen, die etwas dagegen tun.

Suhad Abdulrasak steht in einem Boot
«Jemand muss sagen, was für eine Katastrophe hier stattfindet»: Suhad Abdulrasak zeichnet die Geschichten der Menschen auf, die in den «vergessenen Sümpfen» leben.

Die Katastrophe scheint an diesem Vormittag weit weg. Der schmale Kahn rast über den Fluss, das zarte Schilf links und rechts verschwimmt zu einem grünen Rauschen. Im Winter hat es nach Jahren der Trockenheit zum ersten Mal wieder ausgiebig geregnet. Büffel pflügen durch das Wasser, am Himmel gleitet ein Falke.

Es ist März 2023. Suhad Abdulrasak sitzt vorne im Boot. Die 48-jährige Lehrerin und Autorin ist bereits Dutzende Male ins Marschland von Basra gefahren. In die «vergessenen Sümpfe», wie sie sie nennt: jenen Teil dieses riesigen Deltas, der in ihrer Heimatprovinz Basra liegt, ganz im Süden des Irak. Fremde verschlage es kaum hierher, sagt Abdulrasak. In den Kriegsjahren von 2003 bis 2017 waren Reisen im Irak häufig gefährlich. Vor allem junge Iraker:innen würden ihr eigenes Land kaum noch kennen. «Viele wissen gar nicht, dass es in Basra Sümpfe gibt.»

Suhad Abdulrasak kämpft gegen das Vergessen. Etwa einmal pro Woche fährt sie aus der Stadt hinaus, über holprige Strassen, bis sie die Sümpfe erreicht – und von dort mit einem Boot zu den Familien, die auf kleinen Inseln tief in den Marschen leben. Oft bleibt sie stundenlang bei ihnen, hört zu, schreibt ihre Geschichten auf. «Jemand muss sagen, was für eine Katastrophe hier stattfindet», sagt Abdulrasak. Denn wer wird sich für den Erhalt dieses einzigartigen Ökosystems einsetzen, wenn kaum jemand weiss, dass es überhaupt existiert?

Das Wasser von Euphrat und Tigris

Karte des Iraks mit den Flussverläufen von Euphrat und Tigris
Karte: WOZ

Abdulrasak gehört zu den wenigen Menschen, die hier gegen die Umweltzerstörung und die Folgen der Klimakrise kämpfen. Die vergangenen Jahrzehnte, ab Beginn des Ersten Golfkriegs gegen den Iran 1980, waren geprägt von Gewalt, die den Alltag der Menschen und die Schlagzeilen in internationalen Medien beherrschte. Erst in den letzten Jahren ist die gravierende Situation der Umwelt in den Fokus gerückt.

In nur wenigen Ländern sind die Auswirkungen der Klimakrise so dramatisch wie im Irak: Es regnet immer weniger, Dürreperioden werden häufiger und dauern länger. Zusammen mit den Dämmen, die die Türkei und der Iran in den letzten Jahren für die Stromerzeugung gebaut haben, führte das dazu, dass sich die Grundwasserreserven bis 2022 halbiert haben. Gehe es so weiter, warnte das Ministerium für Wasserressourcen schon 2021, könnten Euphrat und Tigris, aus denen neunzig Prozent des Wassers des Irak stammen, bis 2040 ganz austrocknen. Trotzdem wurden jene, die sich seit Jahren für den Erhalt der Umwelt einsetzen, lange alleingelassen. Zu lange. Nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein 2003 hatten manche gehofft, dass der Umwelt wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt würde. Heute sind sie desillusioniert. Schukri Hassan, der an der Universität Basra lehrt und auf Umweltverschmutzung spezialisiert ist, findet deutliche Worte: «Es muss nun wirklich etwas geschehen, und zwar schnell – bevor Basra eine Stadt wird, in der man nicht mehr leben kann.»

Leben wie vor tausend Jahren

Über eine staubige Strasse fährt Abdulrasak mit dem Auto aus Basra hinaus Richtung Norden. Regelmässig bringt sie Fernsehteams oder interessierte Bewohner:innen aus der Stadt in die Marschen, um ihnen die dortige Lebensrealität näherzubringen. «Hier war früher alles mit Wasser bedeckt», sagt sie und zeigt auf die Ebene hinter den Häusern. Damals erstreckten sich die Marschen über eine Fläche von 15 000 bis 20 000 Quadratkilometern, es war eines der grössten Inlanddeltas weltweit, ein Hort für Zugvögel, einheimische Fische und Reptilien. Dann, Anfang der neunziger Jahre, liess Saddam Hussein das Wasser des Schatt al-Arab stauen, wie der riesige Strom nach dem Zusammenfluss von Euphrat und Tigris heisst. Die Marschen trockneten fast vollständig aus. So wollte der Diktator den Aufständischen im Süden den Rückzugsort nehmen – und die Menschen in den Sümpfen dafür bestrafen, dass sich Aufständische hier versteckt hielten.

«Ohne die Marschen war die Hitze in der Stadt Basra unerträglich», sagt Abdulrasak. «Wir haben uns in nasse Tücher gehüllt, um die Nächte erträglicher zu machen.» Nach dem Sturz des Diktators wurden die Dämme eingerissen. Das Wasser kehrte in vielen Gebieten zurück. Und mit ihm das Leben: meterhohes Schilf, Moorenten, Graufischer, Tigriswelse, Wasserbüffel – und die Menschen, die von ihnen leben. Für Abdulrasak aber ist jene Zeit in den neunziger Jahren bis heute eine Warnung: dafür, wie sehr die Trockenheit das Leben beschwerlicher macht, selbst in der Stadt.

verschmutzter Kanal mit einem Holzboot
Sinkt der Pegel, fliesst Salzwasser aus dem Meer ins Landesinnere.

Nach einer guten Stunde biegt Abdulrasak von der Hauptstrasse ab und parkiert am Ufer eines Kanals. Von hier geht es mit dem schmalen Kahn hinein in die endlose Schilflandschaft. Auf einer der vielen kleinen Inseln lebt Umm Hussein mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in einem wenige Quadratmeter grossen Raum. Direkt daneben ist der enge Stall für ihre rund zwanzig Wasserbüffel, die neugierig ihre Köpfe herausstrecken. Umm Hussein sagt später, zurück im Dorf: «Seit Jahren ist das Wasser zu salzig.» Sie müssen Süsswasser und Riedgras kaufen, damit die Tiere trinken und fressen können.

Umm Hussein ist eine von zehn Frauen, die Abdulrasak porträtiert hat, um auf die Situation in den Marschen aufmerksam zu machen. «Selbst mich hat überrascht, wie schlecht die Situation der Menschen hier ist», sagt die Autorin. «Die Leute, die nach der Wiederbelebung der Sümpfe hierher zurückgekehrt sind, leben beinahe wie ihre Vorfahren vor Tausenden Jahren: vom Fischfang, von ihren Wasserbüffeln, die vom Flusswasser trinken und das Riedgras essen. Deren Milch verkaufen sie im Dorf, wo sie zu ‹gemar›, einer Art dickem Quark, verarbeitet wird.»

Doch auch das geht nicht mehr. Im Sommer fällt der Wasserpegel regelmässig so tief, dass Meerwasser vom Persischen Golf in die Marschen fliesst und der Salzgehalt zu hoch wird: Fische sterben oder migrieren in andere Gebiete; Hirten verlieren zum Teil fast ihre ganze Wasserbüffelherde, manche Tiere sterben an Hitzschlag, weil die Flüsse zu seicht sind, um sich abzukühlen. Um ihre Tiere zu retten, müssen deren Besitzer:innen Futter und Süsswasser einkaufen. Einige verschulden sich, andere geben irgendwann auf.

Sisyphusarbeit in der Stadt

Suhad Abdulrasak wurde 1975 in Kuwait geboren, dem kleinen Golfstaat, der gegenüber von Basra liegt. Ihr Vater, ein Dichter, habe stets viel Wert darauf gelegt, seinen Kindern die Sprache näherzubringen. Bücher seien für sie immer wichtig gewesen, sagt Abdulrasak. Und als Lehrerin war es ihr immer ein Anliegen, diese Leidenschaft weiterzugeben. 2016 gründete sie mit ihrer Schwester und ihrem Vater das Kulturzentrum Dar al-Sobat, in dem sie Lesezirkel und Veranstaltungen organisierten. «Wir haben den jungen Leuten angeboten, die Bücher als PDF oder online zu lesen», sagt sie. «Doch mit der Zeit wollten die meisten von ihnen gedruckte Bücher.» Auf dieselbe Art versucht sie, die Menschen für Umweltfragen zu sensibilisieren: ohne Druck, sondern indem sie Neugier weckt. «Ich bin keine Umweltaktivistin», sagt sie. Ihre Aufgabe sehe sie darin, zu erzählen: vom Zustand der Umwelt in Basra, aber vor allem auch von den Menschen, die darunter leiden. «Wir müssen ihre Stimmen zu den Verantwortlichen tragen.» Damit etwas geschehen könne, sei es nötig, die Situation zu kennen.

Umweltaktivist Hassan al-Rais
«Wenn wir so weitermachen, ist der Irak bald ein Land ohne Flüsse», sagt Umweltaktivist Hassan al-Rais.

Freitagabend mitten in Basra. Hassan al-Rais (23) trägt eine blaue Weste, bei sich trägt er Seiten mit von Hand geschriebenen Hashtags: «#Wir_kümmern_uns_um_unsere_Umwelt, #Irak_ohne_zwei_Ströme». Der Aktivist steht mitten in einer Fussgänger:innenzone, die vor ein paar Jahren gebaut wurde. Damals hatte er dagegen demonstriert, dass eine weitere Grünfläche in seiner Stadt zubetoniert wird.

An diesem Wochenende während des Fastenmonats Ramadan ist der Ort voller Menschen. Ein guter Zeitpunkt, um die Leute für Umweltfragen zu sensibilisieren: Rais spricht Passant:innen an, drückt ihnen eines der Blätter in die Hand. Es ist eine Aktion zur «Wasserwoche Irak», einer Kampagne von Organisationen wie der Gruppe Humat Dijlah, die die Aktion in Basra organisiert. Sie fordern von der irakischen Regierung, endlich aktiv zu werden.

«Wenn wir so weitermachen, ist der Irak bald ein Land ohne seine Flüsse», sagt Rais. Im Gegensatz zu Suhad Abdulrasak, die eher im Hintergrund versucht, ein Bewusstsein für die Umwelt zu schaffen, setzt er auf Sichtbarkeit. Er organisiert Demonstrationen, stellt sich manchmal auch ganz allein an einen Ort, um zu demonstrieren, und teilt seine Aktionen auf Social Media. Zum Beispiel jene von der Gruppe Basra Green, die er 2018 mitgründete. Ihr Ziel war es, Bäume in der Stadt zu pflanzen, in der Gärten nach und nach zu einer Seltenheit wurden.

Schon als Kind habe er immer gerne gepflanzt und im Garten seiner Eltern alles Mögliche ausgesät, erzählt er. «Bis mein Vater den Garten zubetonieren liess und eine Garage daraus machte.» Sein Vater habe seine Naturverbundenheit nicht verstanden. Hassan al-Rais liess sich jedoch nicht beirren. Als die Coronapandemie ausbrach und er zu Hause sass, riss er die Garage ab. Und begann, wieder zu pflanzen. Nur war das bedeutend schwieriger geworden: Das Wasser kam immer wieder salzig aus den Leitungen. Zweimal sei ihm alles, was er gepflanzt habe, abgestorben. Rais musste von vorne beginnen.

Die Arbeit der Umweltaktivist:innen in Basra ist eine Sisyphusarbeit. Die Mehrheit der Menschen in der Stadt würden sich bis heute kaum um Umweltfragen kümmern. Das führe immer wieder zu Enttäuschungen, sagt Rais: wenn sie etwa neben einem Haus einen Baum pflanzten und den Bewohner:innen sagten, dass sie sich um ihn sorgen sollten. «Sie müssten ihn nur giessen, aber wenn wir nach einer Weile wiederkommen, sind viele Bäume abgestorben oder geknickt.» Solche Rückschläge hätten ihn und andere vor rund anderthalb Jahren beinahe dazu gebracht aufzugeben. «Aber dann sagten wir uns: Nein, wir werden es weiter versuchen. Für die Umwelt und für Basra.»

Immerhin finde bei einigen Menschen ein Umdenken statt: «In unserem Viertel sehe ich immer mehr Bäume, wenn ich durch die Strassen gehe», erzählt Rais. Seit ein paar Jahren gebe es zudem vermehrt Menschen, die die Stadt verlassen und aufs Land ziehen würden. «Mein Onkel zum Beispiel.» Dieser habe sich ein Stück Land gekauft und ein Haus gebaut und versuche nun, Gemüse anzubauen und Bäume zu pflanzen. Doch auch er müsse das Wasser von ausserhalb kaufen, weil das Flusswasser zu salzig geworden sei.

Spätes Erwachen

Basra, ganz im Süden des Irak, gehörte einst zu den fruchtbarsten Gegenden des Landes. Bis in die siebziger Jahre waren die Ufer des Schatt al-Arab vom grössten Palmenwald der Welt gesäumt, der Irak war der grösste Dattelexporteur weltweit. «Man nannte Basra ‹schwarzes Land›», sagt der Künstler Hamed Said, der selbst in einem Palmenhain im Dorf Abu Chasib südlich von Basra aufgewachsen ist und heute in der Stadt lebt und arbeitet. Die Palmen standen so dicht, dass alles darunter im Schatten lag.

Das ist schwer vorstellbar, wenn man heute durch die Stadt fährt. Basra ist nicht eine in die Höhe, aber eine dicht gebaute Stadt, die sich immer weiter ins Umland ausbreitet und selbst die noch verbliebenen Palmenhaine zunehmend verdrängt. Der Verkehr ist beinahe so erdrückend wie in Bagdad, wo viele oft mehrere Stunden am Tag im Stau stehen. Das Wasser in den Kanälen, von dem die Leute sagen, früher habe man davon trinken können, ist dunkelgrün vom Abwasser, von Metallrückständen aus der Industrie und Pestiziden aus der Landwirtschaft, die fast ungefiltert in die Gewässer fliessen.

In der Provinz Basra trifft die Klimakrise eine Region, die wie keine andere in diesem Land bereits unter der Zerstörung ihrer Umwelt gelitten hat. Ein Grossteil des Palmenwalds wurde ab den achtziger Jahren abgeholzt. Die Landwirtschaft musste immer mehr der Erdölproduktion weichen. Sechzig Prozent der Ölreserven des Irak liegen in der Provinz Basra, heute ist die Förderung wieder auf einem Höchststand. Die Gase, die dabei entstehen, werden verbrannt, der Russ geht ungefiltert in die Luft.

«Basra gehört zu den am meisten verschmutzten Städten im ganzen Nahen Osten», sagt der Umweltexperte Schukri Hassan von der Universität Basra. Andere Regionen litten «nur» an einer bestimmten Art der Umweltverschmutzung, unter den Folgen eines Zementwerks oder einer Chemiefabrik etwa. In Basra aber komme vieles zusammen: die Ölproduktion, die Verschmutzung der Flüsse weiter nördlich, die alle in Basra zusammenfliessen, und das Salzwasser aus dem Persischen Golf.

Nachdem der Staat jahrelang kaum tätig wurde, scheint sich die aktuelle Regierung unter Mohammed Schia al-Sudani immerhin des Problems bewusst zu werden (vgl. «Die Versprechen der Regierung»). Im März unterzeichnete der Irak als erstes arabisches Land die Wasserkonvention der Uno, die die grenzüberschreitende Zusammenarbeit beim Wasserverbrauch stärken soll. Im selben Monat fand in Basra eine grosse, von der Regierung organisierte Konferenz zur Klimakrise statt, an der zahlreiche Minister, Botschaftsvertreterinnen und internationale Organisationen teilnahmen. Manche sind jedoch skeptisch, ob darauf tatsächlich Reformen folgen werden. Hamed Said etwa sagt, er wünsche sich wenn schon eine Konferenz, die jenen das Wort gebe, die in der Landwirtschaft arbeiteten und besser als viele internationale Expert:innen wüssten, was es heisse, mit der Klimakrise umzugehen.

Plastikmüll statt Palmen

Leuten wie Kassim Abdulwahid. Er ist ein dürrer, alter Mann, in dessen magerem Gesicht sich die Wangenknochen deutlich abzeichnen. Er lebt in Abu Chasib südlich von Basra. Den Palmenwald, der Abu Chasib einst bedeckte, vergleicht er mit dem Amazonas. Der Dichter Badr Schaker al-Sayyab, der ebenfalls aus Abu Chasib stammt, beschreibt ihn im Gedicht «Rückkehr nach Jaykur» so: «Unter der Sonne des grünen Ostens / Auf dem grünen Pferd eines Traums / Durch den reichen Sommer von Jaykur / Eilte ich durch ferne Strassen / Zwischen Blumen, Tau und Wasser / Suchte am Horizont nach einem Stern».

Abdulwahid geht über sein trockenes Land, vorbei an einem Metallgerüst, einem von zwei Gewächshäusern für den Winter, die er mithilfe der Provinzregierung und einer NGO vor gut zehn Jahren gebaut hat – weil er damals zu jenen Bauern gehörte, die noch von ihrer Ernte leben konnten. Das Gewächshaus sollte es ihm ermöglichen, seinen Ertrag zu erhöhen. «Letztes Jahr im Februar war hier alles voller Auberginen», sagt er. Doch dieses Jahr kam der Regen so spät, dass das Wasser des Schatt al-Arab zu salzig war, um damit das Gemüse zu giessen. Dieser Winter war die erste Saison, in der Abdulwahid nichts anbaute.

Kassim Abdulwahid auf seinem ausgetrockneten Feld
Vom Palmenwald am Fluss ist in Abu Chasib nichts mehr zu sehen. Kassim Abdulwahid muss Süsswasser kaufen, um Gemüse anbauen zu können.

Das Problem mit dem Wasser reicht Jahre zurück. Das Wasser aus den Flüssen Euphrat und Tigris sei über die Jahre immer weniger geworden, sagt Abdulwahid. Und mit dem Bau einer Petrochemiefabrik auf der iranischen Seite der Grenze sei das Wasser im Schatt al-Arab plötzlich so verseucht gewesen, dass man sich das Gesicht nicht mehr damit habe waschen können. Ab 2016 musste Abdulwahid im Sommer regelmässig Süsswasser dazukaufen, um überhaupt noch etwas ernten zu können. Der Salzgehalt im Fluss war wegen des tiefen Pegels zu hoch. Doch während viele Bäuer:innen um ihn herum ihre Gärten ganz aufgaben, machte er weiter.

Früher hätten sie ihre Gärten und Felder mit dem Flusswasser gegossen, ihre Kleider damit gewaschen und darin gebadet. Das alles ist nicht mehr möglich. Im Sommer, wenn der Wasserstand sehr tief ist, sei das Wasser im kleinen Fluss neben seinem Feld fast schwarz, erzählt Abdulwahid. Er zeigt auf die Palmen, von denen manche am Absterben sind. Dafür würden auf seinem Land nun Büsche wachsen, die sonst nur in der Wüste gediehen.

Abdulwahids Haus liegt rund 200 Meter vom Ufer des Schatt al-Arab entfernt. «Früher war all das voller Palmen», sagt er. Jetzt schreitet er über eine weite, öde Fläche. «Schau, der Boden ist salzig», sagt er und zeigt auf die feinen weissen Linien, die sich über die trockene Erde ziehen. Am Flussufer deutet er auf eine Stelle ein paar Meter weiter: «Als Kind sind wir hierher zum Lernen gekommen. Von hier aus konnte man das Haus nicht mehr sehen, weil es so viele Palmen dazwischen gab. Wenn wir etwas nicht vergessen wollten, schrieben wir es auf einen Baumstamm.» Heute ist das Ufer an jener Stelle voll von PET-Flaschen und anderem Plastikmüll.

Was braucht ein Bauer wie Abdulwahid, damit er nicht wie so viele andere die Landwirtschaft aufgibt? «Wasser», sagt er schlicht. Für ihn wäre es schon eine Erleichterung, wenn ihm die Regierung das Süsswasser für den Anbau seines Gemüses finanzierte. Andere, wie etwa die Umweltaktivist:innen von Humat Dijlah, fordern, die Regierung müsse in wasserschonende Anbaumethoden investieren und endlich Abkommen mit den Nachbarländern über die Nutzung der beiden Flüsse abschliessen. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Fast alle Nachbar:innen um Abdulwahid herum haben ihr Land entweder verkauft oder Häuser darauf gebaut. Selbst die wenigen noch verbliebenen Palmen verschwinden so mehr und mehr. Kassim Abdulwahid aber weigerte sich bisher, sein Land zu verlassen. Doch dieses Jahr musste er das erste Mal im Dorfladen Gemüse kaufen. «Früher habe ich ihnen das Gemüse geliefert.»

Mitarbeit: Sura Ali.

Die Versprechen der Regierung

Der irakische Premierminister Mohammed Schia al-Sudani hat Anfang März versprochen, gegen die Folgen der Klimakrise vorzugehen. Seine Regierung plane eine Reihe von Massnahmen, die bis 2030 ergriffen werden sollen. So soll künftig ein Drittel des irakischen Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden. In der Landwirtschaft sollen schädliche Bewässerungsmethoden durch schonendere Techniken ersetzt werden. Zudem plant Sudani, CO₂-Emissionen zu verringern, die Wüstenbildung zu bekämpfen und die Biodiversität zu schützen.

Der Irak ist wirtschaftlich fast vollständig vom Erdöl abhängig. Die Ölförderung macht fast die Hälfte des Bruttoinlandprodukts aus, 85 Prozent des Staatshaushalts und 99 Prozent der Exporte. Das Land importiert die Hälfte seiner Lebensmittel. Das macht den Irak für Preisschwankungen anfällig und ist ein zusätzliches Problem für die lokalen Bäuer:innen: Ihr Gemüse kommt häufig nicht gegen die billige Konkurrenz aus dem Ausland an.

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