An dieser Stelle stand vorletzte Woche eine Prophezeiung: Egal, wer die US-Präsidentschaftsdebatte gewinnt, meine Nerven werden verlieren. Die Prophezeiung wurde wahr – ohne dass ich die Debatte sehen musste. Das hatte ich ohnehin nicht vor. Um drei Uhr morgens sollten nur Notrufmitarbeiter, Schiffsnavigatoren und Gamer vor dem Computer sitzen, das ist eine meiner eisernen Regeln. Weil mein Freund zum Flughafen musste, wurde ich trotzdem um fünf Uhr wach, und wider besseres Wissen öffnete ich mit halb zusammengekniffenen Augen die «Guardian»-App.
Donald Trump behauptet, höchstwahrscheinlich ebenfalls wider besseres Wissen, dass Migrant:innen in Ohio Haustiere stehlen und essen würden. Nein, danke. App und Augen gingen wieder zu, die Decke über den Kopf.
Als ich dann wirklich aufstand, nach Sonnenaufgang, war in der Zwischenzeit etwas anderes passiert. Etwas, das mich erst freute, dann aufregte und schliesslich mit einer Mischung aus Erleichterung und Genervtheit zurückliess, alles in einer Zeitspanne von etwa zehn Sekunden. Taylor Swift hatte sich für Kamala Harris ausgesprochen, nach Monaten des Schweigens. Meinetwegen – die Frage war schliesslich nicht ob, sondern wann sie das tun würde.
Aber sie wollte uns wirklich glauben machen, das sei das Ergebnis einer langen, sorgfältigen Abwägung (?) unter Berücksichtigung der von beiden Seiten vorgeschlagenen Politiken (??) und Pläne (???) gewesen. Als gäbe es so etwas in diesem Wahlkampf. Und sie unterschreibt mit «Childless Cat Lady», ein Seitenhieb gegen Trumps Vizekandidat J.D. Vance, der kinderlose Frauen auf diese Weise attackiert hatte. Die Message ist klar: Auch ich bin mitgemeint, auch ich viktimisiert von Trump und seinen Anhänger:innen. Und mein Privatjet genauso.
Einige Disclaimer vorweg: Ich bin Swiftie. Ich singe ihre Lieder fast täglich vor mich hin. Ich war auf der «Eras»-Tour und hatte dabei ordnungsgemäss Glitzer im Gesicht. Wenn irgendjemand der Taylor-Feindlichkeit wirklich gänzlich unverdächtig ist, bin ich es. Aber können wir bitte aufhören, so zu tun, als hätte diese Frau eine Weltanschauung? Für mich gehört sie zu jener Gruppe Menschen, deren politische Positionen sich stets eins zu eins mit ihren persönlichen Vorteilen decken – und deshalb nicht wirklich politisch sind.
Es gibt diese Menschen in jeder denkbaren Ausführung, besonders oft in der Taylor-Swift-Version: Weisse Frauen, die ausser einem allein auf Gender fokussierten Feminismus wenig bis keine Positionen äussern. Muss Taylor Swift mehr als das tun? Nein. Sie ist Künstlerin, ihre Aufgabe ist die Kunst. Alles andere ist ihre persönliche Entscheidung. Wie ich das alles finde, ist meine.
Özge İnan ist Journalistin und Autorin. Bekannt wurde sie zunächst durch ihre politischen Twitter-Beiträge. Im letzten Jahr erschien ihr erster Roman «Natürlich kann man hier nicht leben» bei Piper. An dieser Stelle lesen Sie immer freitags ihre Kolumne, in der sie auf die laufende Woche zurückblickt.