WOZ-Debatte: Pro und Kontra Arbeit

Nr. 17 –

Pro: Kein Müssiggang, nirgends

Die Arbeit, sagt Karl Marx, der hier natürlich gleich zu Beginn nicht fehlen darf, «ist ewige Naturnotwendigkeit, um den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu vermitteln». Das Wort von der Notwendigkeit mag dem libertären Geist als Zwang erscheinen, und der Stoffwechsel könnte instrumentalistisch tönen. Aber der Satz konstatiert doch nur eine Selbstverständlichkeit, und er eröffnet leuchtende Möglichkeiten. Arbeit gehört zum Glutkern des Menschen.

Ach, wie schön sind diese Montage, an denen die Arbeit wieder beginnt, nach dem Sunday, bloody Sunday, den Gott in einer Schwäche zugelassen hat. Wie öde sind diese Mussestunden, grau, trüb verhangen, schlaff, leer, leer, leer. Jetzt aber beginnt das wahre, menschliche Leben, es recken sich Körper und Geist.

Ja, Lohnarbeit ist kapitalistische Ausbeutung, und die freie Arbeit der frei schwebenden Intelligenz ist Selbstausbeutung, und darob könnte man anarchisch zum Slacker werden, aber das hiesse, das göttliche Kind grausam und undialektisch mit der teuflischen Brühe auszuschütten.

Denn selbst in der Tauschwertarbeit steckt die Arbeit als gebrauchswertschaffender Nutzen, und mehr noch: die Selbsttätigkeit. Ach, diese Wonnen (diese Qualen). Es straffen sich die Muskelfasern, die Nervenenden zittern, und die Gehirnsynapsen klicken. Die Verlockung, sich etwas hinzugeben. Die Anspannung, hartnäckig der Sache auf der Spur, mit allen Sinnen. Die zitternde Erwartung, wo die arbeitsame Suche hinführen mag. Der Fieberschub, in den man gerät; und das Glücksgefühl, wenn etwas gelingt, ein Stuhlbein oder ein Artikel, ozeanisch, orgiastisch (wer sagt, Arbeit sei nicht erotisch?). Nur schon der Versuch spannt die ganze Existenz, auch wenn er nicht gelingt, denn das gehört ebenfalls zum tätigen Leben: So irren wir das nächste Mal besser.

Und wenn dann die KapitalistInnen in den Orkus der Geschichte gestossen sind und alles gut ist, fischen wir am Morgen und kritisieren am Abend ein neues Buch, es braucht keinen Müssiggang, nirgends, der Glutkern wäre befreit, für alle; doch seinen Vorschein können wir heute schon hegen.
Stefan Howald

Kontra: Lob des Müssiggangs

Ich erinnere mich an eine Zeit, als ich arbeitete, um mich temporär von der Arbeit zu befreien. Arbeitete ich, freute ich mich auf den Feierabend und die Feiertage. Ich wollte nichts werden. Bloss da sein. Mich treiben lassen, lesen, schreiben, die Zeit vertrödeln, mir die Lampe füllen mit Freunden, mich monatelang in der Fremde herumtreiben. In einem Wald im Südwesten Frankreichs. An der Atlantikküste Portugals, über mir der endlose Himmel, vor mir der grenzenlose Ozean.

Irgendwann in meinen späten Zwanzigern ergriff mich das schlechte Gewissen. Der Vater sorgte sich um seinen liederlichen Sohn. Ich wollte dann doch noch etwas werden, aus Liebe zu meinem Vater. Der Tagedieb, der ich gewesen war, wandelte sich zu einem arbeitsamen Mitglied der Gesellschaft. Die Feier des Lebens verklang. Der Feierabend verwandelte sich in Freizeit und mutierte schliesslich zur Work-Life-Balance. Die Liebe hiess jetzt Beziehungsarbeit. Die Freundschaft war plötzlich ein Netzwerk. Die Eltern- und Erziehungsarbeit schlich sich in mein Leben. Und dann war da noch die Freiwilligenarbeit!

Mittlerweile hat die Arbeit alles übernommen, selbst den Schlaf. Ein totalitäres System. Die Helden von heute tragen Krawatte. Wer Leben nicht in Arbeit verwandelt, muss sich rechtfertigen. Ich lese Ratgeberrubriken, die erklären, wie man eine verdröhnte Weltreise im lückenlosen (Arbeits-)Lebenslauf als Weiterbildung vermerkt oder den depressiven Aussetzer als Persönlichkeitsbildung. Wer nicht ständig an etwas arbeitet, wird erklärungsbedürftig.

Dabei wäre ohne den Müssiggang nichts aus mir geworden. Was ich damals, Ende der achtziger Jahre, einem Chefredaktor anzubieten hatte, war nicht viel, es waren die prallen Früchte des Müssiggangs. Der lässige, aber strenge Herr fragte mich nicht nach den Lücken in meinem Lebenslauf. Er wollte bloss wissen, was ich gerade las.

Als ich letzthin auf dem Mekong schipperte, tief im Süden von Laos, beobachtete ich die auf ihren Einbäumen balancierenden Fischer, wie sie unter der Abendsonne das Essen für ihre Familien aus der Mutter aller Flüsse holten – leichtfüssig und hingebungsvoll.
Andreas Fagetti