Im Affekt: Freundliche Begegnungen
Kürzlich ganz zufällig zwei Abende mit glasklaren, feinsinnigen über Achtzigjährigen verbracht. Sie wirkten wie weise Gesandte aus einer etwas anderen Zeit: mit Botschaften und einer Sprechstilberatung für die Gegenwart.
Zuerst Ruth Dreifuss im Zürcher Volkshaus, aus Anlass des neuen «wobei», des Magazins der WOZ, das ihrer politischen Arbeit gewidmet ist. Die Altbundesrätin hielt fest: Nicht die Systeme seien heute verwirrt, sondern die Menschen. Dieser Verwirrung sollten wir uns zuwenden – und gleichzeitig die Systeme kritisch stützen. Einen Tag später sprach Klaus Theweleit an der Tagung «Gegen/Moderne» in Basel. Er habe sich «einwandfrei geirrt», als er die soldatischen Männer mit ihren Körperpanzern, die er in seinem Jahrhundertbuch «Männerphantasien» analysiert hat, überwunden glaubte, sagte er zum Einstieg.
Dreifuss wie Theweleit redeten ohne die sich überschlagende Nervosität und ohne das aggressive Stakkato, die heute so viele Wortmeldungen prägen. In ihren Aussagen waren beide aber unmissverständlich. Dreifuss, wenn sie auf eine Publikumsfrage nach dem «Völkermord in Gaza» mit grosser Ruhe die Zurückhaltung des Bundesrats kritisierte, die Kriegsverbrechen auf beiden Seiten verurteilte, aber auch erklärte, dass «Genozid» im internationalen Recht keine «höchste Stufe» darstelle, sondern auf der gleichen Ebene angesiedelt sei wie Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Theweleit wiederum bezeichnete das Programm der AfD als Ansammlung von Mordfantasien. Und er beschrieb die extreme Rechte in einer für Heiterkeit sorgenden und doch seltsam nachhallenden Volte als Subjekte voller Blut, Angst und Scheisse. Mit Letzterer werde dann lustvoll alles geflutet.
Was dagegen helfe? Freundliche Berührungen und Begegnungen, sagt Theweleit; echte Sexualität statt in Mordlust verkehrte Libido. Es brauche einen anderen Umgang mit Körpern. Aber auch eine andere Politik, die autoritären Gewaltabsichten keinen Boden biete. Der Satz hätte auch von Ruth Dreifuss stammen können.
Und was fehlt Dreifuss von ihrer Zeit im Bundesrat am meisten? «Ich vermisse die Probleme.» Das ganze Gespräch können Sie auf www.woz.ch/dreifuss nachhören.