Rechter Zufluchtsort: Alice Weidel im Wunderland
Obwohl ihre Partei gegen die LGBTIQ+-Community hetzt, lebt die rechtsnationale AfD-Politikerin Alice Weidel mit ihrer Partnerin in Einsiedeln, Kanton Schwyz. Ein Augenschein vor Ort.

Die Strassen sind leer, und nur wenige Autos fahren vorbei. Die Innenstadt von Einsiedeln ist an diesem Nachmittag Ende Februar ruhig. Was denken die Einwohner:innen über Alice Weidel, die 2019 hierher gezogen ist? Sie habe zwar schon von ihr gehört, sagt eine Kioskmitarbeiterin in der Nähe des Klosters, aber getroffen habe sie die deutsche AfD-Politikerin noch nie. Ihre eigene politische Ausrichtung stimme mit der von Alice Weidel überein, fügt die Einsiedlerin an. Sie hoffe, dass Weidel die Schweiz «verbessern» könne.
Die rechtsnationale Politikerin wohnt inzwischen seit rund fünf Jahren mit ihrer Ehefrau und ihren zwei Söhnen teilweise in Einsiedeln im Kanton Schwyz. Dort haben die Stimmberechtigten 2023 bei den eidgenössischen Wahlen zu 35,9 Prozent die SVP und zu 19,6 Prozent die FDP gewählt. Könnte das auch ein Grund sein, weswegen Weidel dorthin gezogen ist?
Zuvor hatte Alice Weidel mit ihrer Familie in Biel gewohnt, einer Kleinstadt mit lebendiger linker Kulturszene. Wie der «Tages-Anzeiger» Ende 2018 berichtete, fanden Nachbar:innen Weidel und ihre Frau zuerst «total cool», doch nachdem sie von Weidels politischer Meinung und Ausrichtung erfahren hatten, hätten sie sie nun nicht mehr zu sich einladen wollen. Nun hat es Alice Weidel also in die Innerschweiz gezogen, in den Kanton Schwyz. Ein Ort, an dem sie offenbar selten erkannt wird.
Als Ausländerin in der Schweiz
«Alternative für Deutschland», so nennt sich die Partei, für die Alice Weidel politisiert. Eine Partei, die argumentiert, dass deutsche Bürger ihre Heimat «zurückgewinnen» sollen, da sie der Ansicht ist, dass Ausländer sie ihnen «genommen» haben. «Die deutsche Regierung erlaubt, dass jeder kommen kann und keiner gehen muss», sagte Weidel letztes Jahr in einer Rede im Bundestag. Gleichzeitig wohnt sie teilweise in der Schweiz – als Ausländerin.
Charlotte Theile, Journalistin und Autorin des Buches «Ist die AfD zu stoppen? Die Schweiz als Vorbild der neuen Rechten», sagt, Alice Weidel wolle die AfD zu einer deutschen Version der Schweizer SVP machen. Die SVP vertritt der AfD ähnelnde Werte, sie ist auch sehr rechts und hetzt gegen Immigration. Die AfD nimmt die SVP auch aufgrund ihres hohen Wähler:innenanteils zum Vorbild. Theile betont aber, dass die politischen Systeme der beiden Länder unterschiedlich seien, was sich auch auf das Verhalten der Wähler:innen auswirke.
Früher galt die SVP als extremistisch, über die Jahre habe sich die Partei jedoch neutralisiert, meint Marco Kovic, Sozialwissenschaftler und Dozent an der Universität Luzern. Gleichzeitig erlebte die AfD seit ihrer Gründung bis heute einen ziemlich starken Rechtsrutsch. «Deshalb sind die Parteien nicht mehr eins zu eins vergleichbar», so Kovic. Laut Charlotte Theile ist der prägnante Unterschied zwischen der SVP und der AfD, dass die rechteste Partei der Schweiz alles auf Christoph Blocher ausrichte. Ein solcher Personenkult – typisch für eine rechte Partei –, sei kaum woanders so ununterbrochen präsent wie in der Schweiz. Die AfD hat keine solch konstante Struktur. Die Parteispitzen zerfleischen sich regelmässig gegenseitig, obwohl sie für das Gleiche politisieren.
Es ist bekannt, dass Weidel Kontakt zu SVP-Parteimitgliedern pflegt. Offiziell arbeitet die SVP nicht mit ausländischen Parteien zusammen, doch wie der «Blick» im Oktober 2023 berichtete, hatten Ueli Maurer, Altbundesrat der SVP, und Alice Weidel ein «Treffen, das dem politischen Austausch diente». Aber beeinflusst Weidels Anwesenheit auch die Politik in Einsiedeln? Die vor Ort gefragten Bewohner:innen scheinen sich kaum an ihr zu stören. Manche befürworten ihre rechte Denkweise sogar.
Lesbisch und ultrarechts
Dennoch sorgen Weidels Aussagen oftmals für grosse Kontroversen. Obwohl ihre Partei Ausländer:innen wie auch die LGBTIQ+-Community nicht toleriert, lebt Weidel mit ihrer Schwarzen Ehefrau und zwei dunkelhäutigen Kindern das Gegenteil dessen, wofür ihre Partei steht. Wie geht das zusammen?
Anfang September 2023 erklärt sie im ARD-Sommerinterview, dass sie nicht «queer», sondern ausschliesslich lesbisch sei. Diese Aussage sollte, so Sozialwissenschaftler Marco Kovic, verdeutlichen, dass sie keineswegs als eine der «woken Lesben» betrachtet werden möchte, aber vor allem auch ihr privates Leben deutlich von ihrer politischen Arbeit trennen. Möglicherweise auch, weil sie deshalb Kritik von ihren Parteikolleg:innen erfährt? Allerdings hat Weidel auch schon behauptet, dass eingewanderte Muslim:innen die LGBTQIA+-Community nicht tolerieren würden – wohl aus politischem Kalkül, um weitere Bürger:innen von der AfD zu überzeugen.
Laut Autorin Charlotte Theile soll es in der Tat Sarah Bossard, Alice Weidels Ehefrau, gewesen sein, die sie vor mehr als zehn Jahren dazu ermutigt habe, einen politischen Weg einzuschlagen – nachdem sich Weidel 2013 stark mit der Eurokrise auseinandergesetzt hatte.
Hat Alice Weidel in Einsiedeln ihr Wunderland gefunden? Unsere Anfrage liess die AfD-Politikerin bis Redaktionsschluss unbeantwortet.