LeserInnenbriefe

Nr. 21 –

Kritik an Nudging

«Mit der Zielfliege durch die Pandemie», «Le Monde diplomatique», Mai 2021

Im Artikel wird eine Werbestrategie kritisiert, die als «Nudging» bekannt ist: Mit dem subtilen Mittel des «Stupsens» soll Frankreichs Bevölkerung in Coronazeiten resilient, sprich anpasserisch gemacht werden. «Man kann entsetzt sein über die ideologische Manipulation und den Zynismus des heimlichen Loblieds auf die Anpassung», heisst es im Artikel: Per Nudging wolle die Regierung widerständige Kräfte «aus der Welt schaffen».

So weit, so gut. Allerdings: Derart Vernichtendes über das Nudging habe ich zuletzt im «Schweizer Monat» gelesen. Das rechtsliberale Blatt erregte sich darüber, dass staatliche Stups-Kampagnen «in bevormundender Weise» danach trachteten, mündige BürgerInnen «umzuerziehen» zu gesünderem und umweltbewussterem Leben.

Fazit: Nudging ist beliebt in allen Lagern – nur der Gegenstand entscheidet, obs Kritik von links hagelt oder von rechts.

Toni Koller, Bern

Israel und Palästina

«Kommentar zum Nahostkonflikt: Nur eine richtige Seite» , «Neuer Krieg in Gaza: Kein Konflikt von ein paar Tagen» , WOZ Nr. 20/2021

Herr Wegelin plädiert dafür, sich im Nahostkonflikt nicht auf eine Seite zu schlagen und einen Ausweg zu finden. Er führt alle Kritikpunkte an Israels Politik auf und anerkennt die Tatsache, dass nichtjüdische Menschen davon bedroht sind, aus ihren Häusern vertrieben zu werden. Er stellt fest, dass es, solange die Entrechtung der PalästinenserInnen andauere, keinen Frieden geben werde. Was er aufzuführen vergisst, ist eine Idee, mit welchen Mitteln diese PalästinenserInnen sich denn dafür einsetzen sollen, damit ihre Entrechtung endlich aufhört. Damit es Frieden geben kann und ein Ausweg in Sicht kommt.

Hanspeter Gysin, Basel

Den Kommentar von Yves Wegelin wie auch den Artikel von Agnes Fazekas zum neuen Krieg im Nahen Osten fand ich gut und informativ. Beide erwähnen die jahrelange israelische Wirtschaftsblockade gegen Gaza. Sie unterlassen es aber, auf die totale Wirtschaftsblockade von Ägypten gegen die Bevölkerung von Gaza hinzuweisen. Von Israel nach Gaza werden immerhin gewisse Güter durchgelassen, auch wenn Israel eine Zeit lang die Stromzufuhr nach Gaza unterbunden hat, auf Geheiss der palästinensischen Autonomiebehörde.

Weshalb wird kein Druck auf Ägypten aufgebaut, seine rigide Wirtschaftsblockade gegenüber Gaza fallen zu lassen?

Christoph Lips, Zürich

Wenn es für Yves Wegelin nur die «richtige Seite von Demokratie, Freiheit und Völkerrecht» gibt, drohen die historischen Wurzeln und Verantwortlichkeiten für die koloniale und rassistische Gewalt unter den Tisch zu fallen. So brachte der europäische Antisemitismus den Holocaust hervor. Die europäischen Grossmächte samt Stalin ermöglichten die jüdische Staatsgründung auf Kosten der arabischen Bevölkerung Palästinas. Viele Menschen wurden mit kolonialer Gewalt vertrieben. Weil jüdische Flüchtlinge und Holocaustüberlebende in Ländern wie der Schweiz kaum eine neue Heimat finden durften, verloren viele PalästinenserInnen als sekundäre Holocaustopfer ihre Heimat.

Der von Wegelin geforderte «beidseitige Gewaltverzicht» verkennt, dass im Kernland und in israelisch besetzten Gebieten eine permanente strukturelle Gewalt herrscht, die Human Rights Watch und B’Tselem als «Apartheid» charakterisieren. Zudem verlangt er von der unterdrückten Bevölkerung, dass sie das völkerrechtlich verbriefte Recht, bewaffnet gegen militärische Ziele der UnterdrückerInnen vorzugehen, aufgeben. Hingegen stimmt, dass die Hamas-Raketen auf die israelische Zivilbevölkerung völkerrechtswidrig sind.

Wegelin fordert einen «Dialog», als ob dieser voraussetzungslos wäre. Ein «Dialog» im Kontext von Apartheid, von HerrscherInnen und Beherrschten, kann für eine gerechte Friedenslösung nicht zielführend sein. Vielmehr braucht es einen Dialog auf Augenhöhe. Dazu müsste die stärkere Seite (Israel) als Vorleistung sich für das begangene Unrecht entschuldigen und die Absicht bekunden, den strukturellen Rassismus (Apartheid mittels Nationalitätengesetz etc.) und die Besatzung so rasch als möglich abzuschaffen. Um diesen Prozess zu unterstützen, müssten die historisch Mitverantwortlichen, also vor allem die europäischen Mächte und die USA, gegenüber Israel Überzeugungsarbeit leisten und Druck ausüben.

Die erwähnte «wirtschaftliche Perspektive für die Betroffenen» betrifft vor allem palästinensische Flüchtlinge (Inlandvertriebene und ausserhalb Israels/Palästinas). Deshalb müssen vor allem Europa sowie Israel Wiedergutmachung und Wirtschaftshilfe leisten. Bei einer realen wirtschaftlichen Perspektive wäre die Chance grösser, dass palästinensische Flüchtlinge ihr Uno-Recht auf Rückkehr mit einer Kompensation wahrnehmen würden und eine gerechte Friedenslösung zustande käme.

Guy Bollag, Zürich

Waffenlieferungen an Israel

«Kriegsverbrechen auf beiden Seiten: ‹Zyklus der Straflosigkeit durchbrechen›», WOZ Nr. 20/2021

Wie Jan Jirát schreibt: «Die Debatte [über Kriegsverbrechen Israels] hat mittlerweile deutlich mehr Gewicht als in der Vergangenheit, denn der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag, den Israel nicht anerkennt, hat diesen März Ermittlungen wegen mutmasslicher Kriegsverbrechen in den palästinensischen Gebieten im Jahr 2014 eingeleitet.»

Nicht vergessen darf man: Israel hätte seine Kriege und jetzt wieder die Bombardierungen im Gazastreifen ohne die Waffenlieferungen der USA, Deutschlands, Italiens, Frankreichs und weiterer EU-Staaten nicht führen können. Der Einsatz dieses Kriegsmaterials hat die vielen Opfer im Gazastreifen gefordert, hat Wohnhäuser, Spitäler, Wasser- und Abwasseranlagen und die Stromversorgung zerstört.

Die Regierungen, die diese Waffenlieferungen nach Israel bewilligt haben, müssten zur Rechenschaft gezogen werden. In den Medien werden die Waffenlieferungen kaum thematisiert. Hingegen wird immer wieder darauf hingewiesen, dass der Iran der Hamas im Gazastreifen geholfen hat, Raketen zu bauen.

Kleinbestandteile für Kriegsgeräte, produziert in der Schweiz, können ohne Wiederausführungserklärung exportiert werden. Es ist damit zu rechnen, dass solche Bestandteile in Kriegsgerät von anderen Rüstungskonzernen eingebaut und nach Israel exportiert werden.

Heinrich Frei, Zürich