Gewalt gegen Frauen: Empörung zeigt Wirkung
«Ihr seid zu leise», schreit plötzlich eine Frau über die Menge. Tatsächlich ist die Rednerin, die auf dem Bundesplatz in ein Mikrofon spricht, kaum zu hören. Doch die über 500 Menschen, die sich am Dienstag nach einem Aufruf des Feministischen Streikkollektivs spontan hier eingefunden haben, verstehen die Rednerin, auch ohne zu hören, was sie sagt. Denn an diesem Abend teilen alle dieselbe Wut, und sie machen ihr Luft: So leise die Reden am Mikrofon, so laut sind die Schreie und Buhrufe in Richtung Bundeshaus.
Am Tag zuvor hatte der Nationalrat über das Budget 2026 beraten und dabei etwa zusätzliche 10 Millionen Franken für den Weinbau oder 3,6 Millionen für den Schutz von Schafherden beschlossen. Doch eine Million mehr für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen? Das lehnte der Nationalrat – im Jahr, in dem bereits 27 Femizide gezählt werden – ab. Knapp zwar, mit Stichentscheid des Ratspräsidenten Pierre-André Page von der SVP, aber mit vielen Stimmen auch aus den Reihen von Mitte-Partei und FDP.
Angesichts der bescheidenen Mittel, die die Schweiz überhaupt gegen Gewalt an Frauen aufwendet, ist eine Million Franken ein wichtiger Beitrag. Doch der Nationalratsentscheid zeigt einmal mehr die fehlende Priorität, die Frauenleben in der Schweiz haben. Das betonte auch SP-Nationalrätin Tamara Funiciello, die mit ihren wütenden Reden im Parlament und an der Kundgebung viel dazu beitrug, dass das politische Geschäft innert kürzester Zeit stark mobilisierte.
Die SP war es auch, die am Dienstag in einem Appell den Ständerat dazu aufrief, zu intervenieren. Als die kleine Kammer am Mittwochmorgen über das Budget beriet, hatten bereits über 200 000 Personen die Onlinepetition unterschrieben. Der Appell, die Kundgebung, die anscheinend Tausenden von Mails, die die Ständerät:innen erreichten, zeigten Wirkung. So hielt der Ständerat nicht nur an der zusätzlichen Million fest, er stimmte auch einer Erhöhung der Mittel für die nationale Präventionskampagne gegen geschlechtsspezifische Gewalt zu. Am Erscheinungstag dieser WOZ wird sich erneut der Nationalrat mit der Sache beschäftigen.