Sport: Die kontaminierte Arena

Nr. 50 –

Bei den «Enhanced Games» soll man ungeniert dopen dürfen. Das erregt den etablierten Sport. Doch die Empörung ist scheinheilig, wie ein Blick in die Geschichte zeigt.

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der englische Radrennfahrer Tom Simpson mit weiteren Radrennfahrern
Tod ohne Konsequenzen für den Sport: Der englische Radrennfahrer Tom Simpson, ein Jahr bevor er 1967 auf Speed vom Velo kippte. Foto: Getty

Der Weltsport lügt. Der Kosmos des Scheins, der uns erfreut, verzückt und in Spannung hält, ist ein frivoles Spiel mit Hinterlist, Korruption – und Doping. Vor diesem Hintergrund kündigte Aron D’Souza im Frühling 2025 die «Enhanced Games» an. Der Multisportevent soll, mit ihm als Präsidenten, Ende Mai 2026 in Las Vegas stattfinden. «Enhanced» meint hier: Alles, was die Leistung steigern kann, soll erlaubt sein, insbesondere die schrankenlose Anwendung von Pharmaka. Pro Wettbewerb soll es 500 000 Dollar Preisgeld geben und Prämien von einer Million für jene, die Weltrekorde setzen.

D’Souza (41) ist ein australischer Unternehmer, der in Oxford zum Juristen ausgebildet wurde. Eine Hauptunterstützerin der Enhanced Games ist die Risikokapitalgesellschaft 1789 Capital, an der auch Donald Trump Jr. beteiligt ist. Einen weiteren Helfer lernte D’Souza in Oxford kennen: Peter Thiel, rechtslibertärer Techmilliardär und Gründer der Überwachungssoftwarefirma Palantir. Saudi-Arabien ist mit Staatsfonds beteiligt, auch der deutsche Milliardär Christian Angermeyer, als Investor spezialisiert auf Biotech und Kryptowährungen, ist mit dabei. Eine finanzielle Potenz, die nicht zu unterschätzen ist.

Gegen die unerwünschten Quereinsteiger hat die sportpolitische Elite reflexartig protestiert. «Bollocks», Schwachsinn, schnauzte Sebastian Coe, Präsident des internationalen Leichtathletikdachverbands. Eine «gefährliche Clownshow», ätzte Travis Tygart, Chef der US-Antidopingagentur, und der zweifache Schwimmolympiasieger Kieran Perkins bezeichnete das Vorhaben als «grenzwertig kriminell». Die internationale Presse betete die Befunde nach: «Das Geschäft mit den Supermenschen», titelte die «Zeit», und die NZZ nervte sich über die «Freak-Show». Kaum ein Tag vergeht ohne heilige Empörung über den «Kommerz» dieser «perversen Menschenversuche». Der Aufstand ist mühelos als Heuchelei zu erkennen. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass der Sport längst kontaminiert ist – und unzählige Dokumente belegen es.

Ideale Versuchsobjekte

Der Begriff von «Anregungsmitteln, sog. Dopings» schlich sich ab 1900 zaghaft in die zeitgenössische Berichterstattung ein – gemeint waren etwa Kokain, Strychnin oder Morphium. Die Zeitungen berichteten noch ungeniert darüber, welche Mittel im Radsport die Leistung steigerten. Der deutsche Bakteriologe Ferdinand Hueppe (1852–1938) war der Ansicht, dass die Strapazen ohne Stimulanzien nicht zu meistern seien. Für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg sei kaum ein Bewusstsein auszumachen, die Frage in einem ethischen oder moralischen Zusammenhang zu sehen, stellte der US-Sozialwissenschaftler John Hoberman in «Mortal Engines» (1992) fest, einem Standardwerk internationaler Dopinggeschichte. Sportler galten der Wissenschaft zwar als ideale Versuchsobjekte, aber es gab noch kaum Bestrebungen, den Körper im Dienst sportlicher Höchstleistung zu erforschen.

In den 1920er Jahren formierte sich mit der Sportmedizin eine neue Disziplin, die von nun an die alleinige Expertise für den Athletenkörper reklamierte. Daraus folgten erste Dopingdiskussionen am Beispiel von Coramin – aus heutiger Sicht eine harmlose Lutschtablette, deren Stimulans Nikethamid den Kreislauf ein bisschen animiert. Für den Wiener Sportmediziner Alexander Hartwich war damals klar, dass «Calcio-Coramin in der sportärztlichen Praxis» einzuführen sei: Der Sportarzt, argumentierte er, «darf seine Aufgabe nicht darin erblicken, seine Schutzbefohlenen – in übel angebrachter Vorsicht – an der unteren Grenze ihrer psychophysischen Möglichkeiten zu halten und jedes höhere Streben zu unterbinden».

Die erste Lizenz zum Dopen irritierte kaum einen Fachkollegen. Anlässlich des 1. Sportärztlichen Zentralkurses 1937 in Bern hielt der junge Schweizer Arzt Gottfried Schönholzer ein bemerkenswertes Referat über «Die Frage des Dopings». Der Hochleistungssport habe sich in den 1930er Jahren vom Gesundheitssport abgespalten. Der eigentliche Sportgedanke, Gesundheit oder Fairness, sei sekundär geworden. Wegweisend für eine Definition, «was überhaupt unter Doping zu verstehen ist, muss die Vernunft sein». Was er darunter verstand, machte Schönholzer 1941 in der «Schweizerischen Medizinischen Wochenschrift» klar: «Ist der Endzweck unserer Bemühungen die Leistung, besonders die einmalige Leistung, dann ist auch alles erlaubt, was die Leistung steigert.»

Crystal Meth an der Front

Coramin hatte ausgedient. Die neue Spezialität hiess Pervitin, 1938 von den Berliner Temmler-Werken auf den Markt gebracht. Der Wirkstoff Methamphetamin, heute als chemische Droge unter dem Namen Crystal Meth bekannt, macht wild und euphorisch, aber auch psychotisch. Im Zweiten Weltkrieg bezog die deutsche Wehrmacht mehrere Millionen Tonnen des Stoffs. Schweizer Soldaten wurden zwei Tabletten pro Tag gereicht, was einigen Experten «lächerlich wenig» schien. Schon 1940 schrieb Ulrich Frey, später langjähriger Sportarzt der Schweizer Olympiamannschaft: Angesichts der «enormen Steigerung der Leistungsfähigkeit» durch Pervitin sei es «leicht begreiflich», dass diese Droge «weitgehend Einzug in militärische und sportliche Kreise gefunden» habe.

Die schleichende Prohibition des Dopens nahm hier ihren Anfang. Der Zweite Weltkrieg hatte die Akzeptanz von Pharmaka auch im Sport gefördert. Der Kalte Krieg forcierte nun die Obsession der Wissenschaft in Ost und West, Supersportler zu erschaffen. Und schliesslich versprach ein Massenpublikum im neuen Lifestylemarkt beste ökonomische Aussichten. So formierte sich ein Forschungszweig, der sich ausschliesslich um die medizinische Leistungssteigerung von Spitzensportler:innen kümmerte. Selbst bei weiter Auslegung wissenschaftlicher Ethik wurde das nun grenzwertig verbrecherisch. Wo aber der wissenschaftliche Ehrgeiz stärker als die ethische Haltung war, gingen immer wieder Vertreter der Sportmedizin in den Untergrund. Weil die öffentliche Wahrnehmung davon nichts wissen wollte, führte das zur seltsamen Heuchelei, die den professionellen Sportbetrieb bis heute prägt. Das Motiv für diese Heuchelei ist im Grunde religiöser Art: Ein zentrales Dogma im Sport ist der Fairnessgedanke – darin hat Doping keinen Platz. Wenn dieses Dogma preisgegeben wird, bricht das System zusammen.

Foto von Dopingmitteln, 1961: Pillen, Spritzen und Verpackungen von Tonedron, Aktedron, Maxiton, Stenamine Lepetit, Supponéryl
Pillen, Pulver, Spritzen: Dopingmittel, die 1961 bei den Schweizerischen Rad-Bahnmeisterschaften in Zürich Oerlikon beschlagnahmt wurden. Foto: Keystone

Exemplarisch für eine frühe Phase dieser Entwicklung: Dianabol, das erste, hochwirksame anabole Steroid in Tablettenform, 1960 von der Ciba AG in Basel lanciert. Steroide sind synthetische Verwandte des männlichen Sexualhormons Testosteron. Schon Ende der 1950er Jahre hatten die beiden US-Nachwuchsgewichtheber Bill March und Tony Garcy eine Dianabol-Kur von zehn Milligramm pro Tag begonnen – nach späteren Massstäben eine geringe Menge. «Dass kleine rosa Pillen so stark machen können, schien damals unvorstellbar», schrieb der US-Historiker John D. Fair später. «Die Männer waren verrückt nach den Pillen. Sie dachten, eine ist gut, drei oder vier sind besser. Die schluckten das Zeug wie Candys.» Als die Männer das Zeug schon wie Bonbons konsumierten, liefen bei Ciba in Basel noch immer Dianabol-Versuche an Ratten, wie einem Bericht der «Schweizerischen Medizinischen Wochenschrift» zu entnehmen ist. Und obwohl schon kurz nach der Markteinführung irreversible Nebenwirkungen offensichtlich waren, bewarb Ciba das Hormon weiter im grossen Stil. Gemessen am Umsatz, stand Dianabol 1962 auf Platz fünf der Produktpalette des Konzerns.

Diverse Studien, 1967 auch am sportmedizinischen Forschungsinstitut in Magglingen, wiesen in der Folge «sehr wesentliche Leistungsverbesserungen mit erheblich gesteigerter persönlicher Bestleistung» nach. Als Gottfried Schönholzer, unterdessen international angesehener Leiter des Instituts in Magglingen, für das Laienpublikum im «Sport» über die Studie schrieb, tönte das ganz anders: Eine in Magglingen durchgeführte Versuchsreihe habe «im Durchschnitt zu keinen sicher positiven Ergebnissen» geführt. Dianabol, so Schönholzer weiter, «erfüllt die üblichen Voraussetzungen, um als Doping bezeichnet werden zu können, seinem Wesen nach nur sehr lückenhaft». Warum das so ist, erklärte sein Freund und Berufskollege Joseph Keul später in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung»: Mit anabolen Steroiden sei «keine kurzfristige und rasch vorübergehende Leistungssteigerung zu erzielen, während ja Dopingmittel in der Absicht genommen werden, die Leistung kurzfristig für den Wettkampf zu verbessern». Keul ist gemäss einer Studie von 2017 der «am meisten dopingbelastete Sportmediziner Westdeutschlands».

Tod am Mont Ventoux

Bis dahin hatte Doping als «künstliche und unfaire» Leistungssteigerung die breite Öffentlichkeit noch kaum erregt. Das änderte sich im Sommer 1967. Der Radrennfahrer Tom Simpson war auf Speed, als er am 13. Juli an der Tour de France vom Rad kippte. Millionen Menschen verfolgten seinen Todeskampf beim Aufstieg zum Mont Ventoux live vor dem Fernseher. Die Medien skandalisierten den Tod, die Sportverbände mussten eine Gegenstrategie entwickeln. Nun erstellten sie Listen mit ausdrücklich verbotenen Wirkstoffen, Methoden und Verhaltensweisen. Doch weil die gleichen Instanzen, die die Listen aufstellten, auch die Überwachung und die Bestrafung monopolisierten, passierte weiter nichts.

Auf der ersten Dopingliste des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) von 1967 standen die Ladenhüter Amphetamine und Morphium, die Simpson intus hatte. Anabole Steroide fehlten, weil Dianabol das aktuelle Dopingmittel für die Vorbereitung auf die Spiele in Mexiko-Stadt 1968 war. Erst als die deutsche Diskuswerferin Brigitte Berendonk im Dezember 1969 in der «Zeit» die «hormonale Muskelmast» beklagte, wurde die Liste um anabole Steroide ergänzt. Die Listen waren ihr Papier noch nie wert. Sie werden willkürlich ausgelegt, angepasst, geändert. Dem Autor dieser Zeilen liegt ein Schreiben vor, in dem ein hoher Sportfunktionär gesteht, dass der Wille zur Dopingbekämpfung nie vorhanden war.

Diskuswerferin Brigitte Berendonk 1972 in München
Genug von der «hormonalen Muskelmast»: Diskuswerferin Brigitte Berendonk, hier 1972 in München. Foto: Sven Simon, Ullstein

Erst wurden die Nervenbahnen stimuliert, dann die Muskelfasern aufgepumpt, und die nächste Generation manipulierte den Blutkreislauf mit synthetischem Erythropoietin (Epo). Das Hormon produziert rote Blutkörper, die mehr Sauerstoff durch den Blutkreislauf transportieren. Der Biochemiker Francesco Conconi forschte im Auftrag des IOC, um künstlich zugeführtes Epo nachzuweisen. Er, sein Schüler Michele Ferrari und Dutzende von Sportärzt:innen nutzten ihr Wissen, um Tausende von Spitzensportler:innen auf der ganzen Welt zu dopen. Einige der Gedopten erlitten wegen des verdickten Blutes Thrombosen und starben. Die PR-Abteilung des IOC erzählte, dass Epo im Test kaum nachzuweisen sei. Wieder reagierte der Weltsport erst, als ihm der Sumpf bis zum Hals stand.

Das war im Jahr 1998 der Fall, als der leitende Untersuchungsrichter die riesigen Dopingfunde, vor allem Epo, an der damaligen Tour de France als normales Drogendelikt behandelte. Es kam zu Dutzenden Festnahmen, die vorgetäuschte Antidopingpolitik war blossgestellt. Dies führte zur Gründung der sogenannt unabhängigen Welt-Antidopingagentur (Wada). Deren Erfolgsquote liegt noch heute nah bei null. Pro Jahr werden für insgesamt 300 Millionen Dollar etwa 300 000 Dopingtests durchgeführt. Nur etwa 0,3 Prozent davon sind positiv. Dopingforscher:innen wie der Mainzer Neurobiologe Perikles Simon haben zusammen mit Kollegen aus den USA und Kanada wissenschaftlich längst nachgewiesen, dass eine «vernünftige Expertenschätzung für Doping» bei erwachsenen Eliteathlet:innen bei rund vierzig bis sechzig Prozent liegen dürfte.

Von wegen ehrlich

Im anschwellenden Wirbel um die Enhanced Games werden weiterhin allerhand Expert:innen die Öffentlichkeit über die wahre Welt des Dopens täuschen. Anfang Oktober 2025 zitierte die NZZ Martial Saugy, den langjährigen Leiter des von der Wada akkreditierten Dopinglabors in Lausanne: «Leistungssteigerungen durch Doping bei gesunden Menschen wurden nachgewiesen, aber nicht bei austrainierten Hochleistungssportlern.» Das ist entweder falsch oder bedeutet decodiert: Austrainierte Hochleistungssportler:innen sind keine gesunden Menschen, und ihre Körper sind dopingmässig schon ausgereizt. Saugy hat das «Corporate Wording» der Weltsportunternehmen perfekt verinnerlicht. Der Romand war Spitzenfahnder für die Fifa und das IOC, im Nebenjob beriet er das Dopinglabor in Moskau, Russlands operative Zentrale zur Vertuschung des Staatsdopings. Heute berät er die Wada und das Internationale Sportgericht in Lausanne.

Der Weltsport lügt. Und die Freunde der «Dopingspiele» nutzen die Mär vom sauberen Sport als Verkaufsargument. Sein Ziel sei auch, sagt Aron D’Souza, die «Hegemonie» der Olympischen Spiele und die «Heuchelei» der Wada zu beenden, um «ehrliche» Spiele abzuhalten. Das ist perfid und zugleich das Dilemma für jede kritische Auseinandersetzung. Doch wer den Weltsport und seinen «Kampf gegen Doping» als bigott entlarvt, macht sich nur scheinbar zum Komplizen der Enhanced Games. Dieser Widerspruch ist auszuhalten. Es wird interessant sein, das weitere Geschehen zu verfolgen. Denn der Unterschied zwischen den beiden Wettbewerbern ist minimal. Der Betriebszweck und die Unternehmensstrategie sind gleich. Und im Geiste sind sie längst vereint.

Walter Aeschimann hat als Historiker zum Thema Doping geforscht und publiziert seit 35 Jahren darüber.