Gentechnik: Die grosse Deregulierung
Die «neue» Gentechnik soll in der EU weitgehend dereguliert werden: Das beschlossen diese Woche EU-Parlament, EU-Kommission und EU-Ministerrat beim letzten sogenannten Trilog. Es geht um Techniken wie die «Genschere» Crispr/Cas, die präziser ins Genom eingreifen als frühere gentechnische Methoden. Ein Grossteil der Pflanzen, die durch diese Eingriffe entstehen, soll Pflanzen aus konventioneller Züchtung gleichgestellt werden. Das heisst: keine Risikoprüfung mehr, keine Kennzeichnung ausser beim Saatgut, kein Schutz für gentechfreien Anbau. Linke, Grüne und Biolandwirt:innen sind entsetzt. «Umwelt- und Verbraucherschutz mit Füssen getreten», schreibt der grüne deutsche EU-Parlamentarier Martin Häusling. Auch in der Schweiz will der Bundesrat «neue» Gentechnik weniger streng regulieren. Doch die EU geht sehr viel weiter.
Es braucht noch einige Abstimmungen in EU-Institutionen, bis der Beschluss definitiv ist. Doch die Richtung ist klar – und eine Referendumsmöglichkeit für die Bürger:innen gibt es nicht. Wenn der Beschluss so durchkommt, wird langfristig niemand mehr wissen, wo «neue» Gentechnik drin ist – das gilt auch für Lebensmittel, die in die Schweiz importiert werden. Wie der Biolandbau Gentechnikfreiheit sicherstellen soll, ist völlig unklar. Es droht eine Flut an neuen Patenten, vielleicht werden sogar Landwirt:innen verklagt, wenn sie unbeabsichtigt patentierte Gentechpflanzen anbauen, wie es in den USA schon vorkam.
Mit der «neuen» Gentechnik sind riesige Versprechen verbunden. Sie soll Pflanzen fit fürs Klima machen – und erst noch so robust, dass sie ohne Pflanzenschutzmittel auskommen. Der Druck auf Kritiker:innen ist gross: Sie werden als verbohrte Ökos dargestellt, die reale Verbesserungen ihrer Ideologie opfern. Aber die versprochenen Superpflanzen sind auch mit der «neuen» Gentechnik nicht in Sicht. Die absolut krankheitsresistente Pflanze wird ein Traum bleiben. Bakterien und Pilze entwickeln sich evolutionär weiter, Resistenzen werden durchbrochen. Genauso wackelig ist das Versprechen von der Klimaanpassung. Trockenheitstoleranz ist eine sehr komplexe Eigenschaft, für die man nicht einfach ein paar Gene an- und abschalten kann.
Und vor allem: Das Klima wird nicht einfach trockener, sondern unberechenbarer. Auf extrem trockene Perioden folgen oft Starkniederschläge. Es ist eine Illusion, zu meinen, einzelne optimierte Pflanzeneigenschaften würden die Landwirtschaft widerstandsfähiger machen. Dafür braucht es einen Systemansatz: eine Landwirtschaft, die so vielfältig ist wie natürliche Ökosysteme, die viele verschiedene Pflanzen anbaut und so sorgsam wie möglich mit dem Boden umgeht. Das alles hilft, um für Dürre, aber auch Nässe besser gerüstet zu sein.
Sogar wenn einmal eine gut «funktionierende» Gentechpflanze mit hilfreichen Eigenschaften gezüchtet werden sollte – die grosse Frage bleibt eine andere: Welche Landwirtschaft wollen wir? Eine arbeits- und wissensintensive, die sich an ökologischen Kreisläufen orientiert? Oder eine hochtechnisierte, von Grosskonzernen abhängige? Landwirtschaft kann nie im industriellen Sinn effizient sein, weil sie mit Lebewesen arbeitet, die sich der industriellen Logik entziehen. Sie verändern sich mit den Jahreszeiten und dem Wetter, sie brauchen Care-Arbeit, sie sind sterblich. Es ist kein Wunder, dass viele Landwirt:innen, den Klimaextremen ausgeliefert, den Gentechversprechen glauben. Doch optimierte Lebewesen, die man vollständig kontrollieren kann, wird es nie geben.
Das wird gerade in einem anderen Bereich der industrialisierten Landwirtschaft grausam sichtbar: in der Geflügelhaltung. Trotz aller Abschottung hat es das Vogelgrippevirus in vielen Ländern auch in Ställe von Hühnern geschafft, die die Sonne nie sehen. Dort grassiert es und findet einen gefährlichen Nährboden für Mutationen. Die Vogelgrippe hat nichts mit Gentechnik zu tun. Doch die Hühnerindustrie ist derselben Idee von Effizienz und totaler Kontrolle entsprungen – die immer wieder scheitern wird.