Digitale Ökonomie: Die Gatekeeper umgehen

Nr. 25 –

Es gibt längst Alternativen zu den Tools und Diensten der US-Techkonzerne: Eine Handreichung zur digitalen Selbstermächtigung.

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Filmstill aus «The Matrix Resurrections»: Häuser und eine Strasse verwandeln sich in Programmcode
Eine Welt beherrscht vom Code der Techgiganten? Man muss kein Messias sein, um sich dem zu entziehen. Still aus «The Matrix Resurrections»: Imago

Seit der erneuten Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten ist das Silicon Valley unübersehbar nach rechts gerückt. Doch die Machtballung in der Techindustrie ist schon lange ein Problem, und zumindest als Nutzer:in ist man der Techoligarchie nicht zwangsläufig ausgeliefert. Dieser Text porträtiert Projekte, die beweisen: Alternativen zu den Produkten von Big Tech existieren bereits.

Alternativer App-Store: F-Droid

Thore Göbel arbeitet als Softwareentwickler in Zürich. In seiner Freizeit engagiert er sich bei Projekten, in denen nichtkommerzielle Software entwickelt wird. Eins davon ist ein alternativer App-Store für Android namens F-Droid.

F-Droid funktioniert anders als herkömmliche App-Stores. Man muss sich keinen Account anlegen. Jede App ist kostenlos. Sogar der Quellcode, mit dem die Apps programmiert wurden, kann von allen gelesen werden. Das garantiert zwar nicht, dass Apps keine Daten sammeln, macht es aber einfacher, zu erkennen, wenn Apps auf persönliche Informationen zugreifen – und diese Apps dann nicht bei F-Droid anzubieten.

F-Droid ist auch resilienter gegenüber Zensurversuchen. In China oder im Iran etwa ist der Zugang zum Internet eingeschränkt: Die Regierungen kontrollieren, welche Websites verfügbar sind. F-Droid ist so aufgebaut, dass Apps von verschiedenen Servern heruntergeladen und mit Nutzer:innen in der Nähe geteilt werden können. Das macht es für Regierungen schwieriger, Inhalte zu sperren.

Die Alternativen

Kommunizieren
Wer gerne chattet, kann statt Whatsapp von Meta den Messenger Signal benutzen und versuchen, seine Kontakte zu ­einem Wechsel zu motivieren. Aus der Schweiz bietet sich Threema an. 

signal.org 
threema.ch

Arbeiten
Wer viel am Computer arbeitet, kann die ­Applikationen von KDE ausprobieren. Für Büro­anwendungen kann man Libre Office ­herunterladen.

apps.kde.org
libreoffice.org

Vernetzen
Als Alternative zu Social Media wie X oder ­Facebook bietet sich das Fediverse an. Mastodon ist die bekannteste Fediverse-Applikation mit vielen aktiven Netzwerken. Als Server zum Einstieg eignet sich troet.cafe. Wer eher eine persönliche Nische sucht, findet hier eine ausführliche Übersicht von Mastodon-Servern: joinmastodon.org.

Logos von Threema, Signal, KDE, Mastodon und LibreOffice

Doch Projekte wie F-Droid sind nicht nur relevant für Menschen in autoritären Staaten. Auch in der Schweiz sei es erstrebenswert, von Konzernen unabhängig zu werden, sagt Thore Göbel. «Es ist ein sehr grosses Klumpenrisiko, wenn eine Milliarde Menschen vom selben Service abhängig sind», so der Programmierer. Denn: «Das Potenzial für Missbrauch ist enorm, wenn so viele Daten und so viel Macht bei einer Firma konzentriert sind.»

Auch die EU hat das erkannt. Ende 2023 identifizierte sie im Rahmen des «Digital Markets Act» (DMA) sechs Unternehmen als «Gatekeeper»: Google, Meta, Amazon, Apple, Microsoft und Bytedance (Tiktok). Diese Firmen bieten Dienste an, etwa Suchmaschinen, App-Stores oder Messenger, die die Weichen dafür stellen, zu welchen anderen Diensten Nutzer:innen Zugang haben. Der DMA verpflichtet sie, ihre digitalen Ökosysteme zu öffnen, damit auch Alternativen wie F-Droid Verbreitung finden können.

Auf dieser Grundlage wurden im April nun die ersten Gatekeeper gebüsst: So muss Meta 200 Millionen Euro zahlen, da der Konzern von Nutzer:innen in der EU eine monatliche Gebühr verlangte, wenn diese nicht wollten, dass ihre Daten aus den einzelnen Meta-Diensten zusammengeführt werden. Apple wurde sogar zu einer Strafzahlung in Höhe von 500 Millionen Euro verurteilt, da das Unternehmen Entwickler:innen daran hindert, Konsument:innen Angebote ausserhalb des eigenen App-Stores zugänglich zu machen.

Es gibt auch staatliche Initiativen, die der Konzentration von Marktmacht entgegenwirken: Die Direction interministérielle du numérique aus Frankreich und das Zentrum für Digitale Souveranität aus Deutschland entwickeln gemeinsam die freie Software Docs, mit der kollaborativ Texte verfasst werden können.

Staatliche Anstösse reichen aber nicht, auch die Nutzer:innen müssen umdenken. Thore Göbels Handy funktioniert ganz ohne Apps von Big Tech: Um Nachrichten zu schreiben, verwendet er nicht Whatsapp, sondern Signal oder den Schweizer Anbieter Threema. Statt Android hat er das Betriebssystem GrapheneOS installiert, das ohne Dienste von Google auskommt.

Sein Nutzungsverhalten erläutert der Softwareentwickler mit einer Analogie: «Nur weil eine Person kein Fleisch mehr isst, wird sich die Welt nicht bessern. Aber wenn viele das nicht mehr tun, macht es irgendwann einen Unterschied.» Wenn nur eine Person ihre Daten dezentralisiere, werde sich nichts ändern: «Aber wenn 100 000 Leute ihre Daten nicht mehr bei Google haben, macht es einen Unterschied.»

Der Ursprung freier Software

Die Idee, kostenlose Software ohne kommerzielle Absichten anzubieten, ist nicht neu. In den Anfängen der Informatik war der freie Austausch von Code unter Forschenden und Programmierer:innen üblich, wie der Historiker Christopher Tozzi in seinem Buch «For Fun and Profit» (2017) über die Geschichte der Open-Source-Bewegung schreibt.

Eine wichtige Rolle spielte dabei das 1976 veröffentlichte Betriebssystem Unix von AT & T, das aus kartellrechtlichen Gründen nicht kommerziell vertrieben werden durfte. Universitäten und Firmen konnten das Betriebssystem für eine geringe Gebühr lizenzieren, nahmen Änderungen am Programmcode vor und teilten diese mit anderen. Es entstand eine internationale Gemeinschaft, die das System ständig verbesserte. Diese kollaborative Phase währte aber nur wenige Jahre: 1983 wurde AT & T von den kartellrechtlichen Auflagen befreit, nachdem ein Teil der Firma verkauft worden war. Daraufhin begann das Unternehmen, Unix kommerziell zu vertreiben.

Dies frustrierte damals viele Entwickler:innen und wirkte als Katalysator für alternative Softwareprojekte. So entstand etwa das Projekt GNU, das zum Ziel hatte, ein komplett freies Betriebssystem zu entwickeln. Einige Jahre später veröffentlichte der finnische Student Linus Torvalds dann das Programm Linux, das sich bald zum grössten freien Softwareprojekt der Welt entwickelte. Heute wird Linux von der Mehrheit der Server im Internet verwendet und bildet die Grundlage von Android, dem meistgenutzten Betriebssystem.

GNU und Linux wiederum inspirierten andere, eigene freie Softwareprojekte zu starten. 1996 entstand die Community KDE, die Applikationen für Desktop- und Mobilgeräte entwickelt. KDE zählt heute zu den grössten und aktivsten Softwareprojekten.

Die Community entwickelt etwa Dateimanager, Dokumentviewer oder Screenshot-Tools, aber auch spezialisierte Anwendungen wie Krita, mit der Künstler:innen digital zeichnen können. Wie bei F-Droid sind alle Programme von KDE quelloffen. Zudem sind sie so lizenziert, dass sie für immer quelloffen bleiben werden: Es ist nicht erlaubt, den Code zu modifizieren und die Software weiterzuverteilen, ohne die Änderungen ebenfalls frei zugänglich zu machen.

Was aber bedeutet «frei» überhaupt im Kontext von Software? KDE-Mitglied Carl Schwan meint dazu: «Ich mag den Begriff ‹freie Software› gern – also zumindest auf Deutsch. Im Englischen klingt es falsch für mich. Denn es geht nicht darum, dass es ‹free› im Sinn von kostenlos ist.» Für Schwan geht es vielmehr darum, «sich unabhängig zu machen von Techriesen, die sehr viel kontrollieren».

Bei KDE arbeiten viele Student:innen mit. Auch Carl Schwan begann als Student, sich an der Community zu beteiligen. Man muss dafür nicht programmieren können: Gesucht sind auch Leute, die Anwendungen übersetzen, testen, dokumentieren und bewerben.

Die Mitglieder organisieren jährlich eine Konferenz in Europa. Gelegentlich treffen sie sich auch für mehrere Tage in kleineren Gruppen, um an spezifischen Zielen zu arbeiten. Vorgesetzte gibt es nicht: Bei KDE arbeitet man immer an dem Projekt, an dem man sich beteiligen möchte. Für Carl Schwan ist das aktuell die Mobile-App «KDE Itinerary», mit der sich Reisen planen lassen.

In der KDE-Community gibt es nur eine Handvoll Leute, die Vollzeit arbeiten. Sie werden meist von Firmen bezahlt, die Software von KDE in ihre eigenen Produkte integrieren. Carl Schwan studiert mittlerweile nicht mehr. Er hat einen Chef, der ihn manchmal während der Arbeitszeit an KDE arbeiten lässt, macht aber auch viel in seiner Freizeit. Er hofft, dass in Zukunft mehr Programmierer:innen für ihre Arbeit an KDE bezahlt werden. «Freie Software ist superwichtig für unsere Gesellschaft», sagt er. «Es ist aber nicht fair, dass die meisten Leute, die sie produzieren, das in ihrer Freizeit machen müssen.»

Dezentral im Fediverse

Etwas jünger als KDE ist die Fediverse-Bewegung. Der Begriff ist ein Kofferwort aus «Föderation» und «Universum» und beschreibt die Verknüpfung von vielen kleinen, dezentralen sozialen Netzwerken.

«Das Fediverse befreit dich von Systemen, die so gestaltet sind, dass sie dich ausbeuten», sagt Hannah Ward, eine Entwicklerin von Fediverse-Software. Plattformen wie X, Facebook und Co. seien darauf ausgelegt, Nutzer:innen so lange wie möglich zum Weiterscrollen zu bewegen. «Wenn dich also aufhetzende Inhalte zum Klicken bringen, dann werden diese Inhalte priorisiert», sagt sie.

Im Fediverse bewegen sich mehr als eine Million aktive Nutzer:innen, die auf 18 000 Netzwerke verteilt sind. Jedes dieser Netzwerke erlässt seine eigenen Regeln, legt also etwa fest, welche Inhalte erlaubt sind und wie sie moderiert werden. Viele Netzwerke haben auch Regeln, mit welchen anderen Netzwerken kommuniziert werden kann, was es erlaubt, solche auszuschliessen, auf denen unerwünschte Inhalte geteilt werden.

Das Fediverse fühlt sich kleiner und persönlicher an als kommerzielle Social-Media-Plattformen. Die Leute, die Inhalte moderieren, haben oft einen direkten Draht zu denen, die sich im jeweiligen Netzwerk bewegen.

Ward glaubt, dass soziale Medien nur funktionieren, wenn sich Moderator:innen und Nutzer:innen auf Augenhöhe begegnen: «Wenn du es als Moderator:in mit einer grossen Benutzergruppe zu tun hast und die Meldung erhältst, dass jemand gegen eine Regel verstösst, ist es am einfachsten, einen Beitrag direkt zu löschen oder die Person von der Plattform zu verbannen», sagt sie. Anders sei es dagegen, wenn man sich kenne: «Dann kannst du mit den betreffenden Personen kommunizieren und herausfinden, ob es ihnen gut geht – es ist eine bilaterale Beziehung, die mehr Spielraum lässt.»

Im Mainstream angekommen ist freie Software noch nicht. Oft ist es einfacher, Plattformen zu verwenden, die schon verbreitet sind. Der Umstieg auf freie Software kann Zeit beanspruchen. Aber er bietet die Chance, die Software, die wir nutzen, zu kontrollieren, statt dass die Software – und die Techmilliardäre, denen sie gehört – uns kontrolliert.

Dorian Zgraggen (24) lebt als Softwareentwickler in Luzern.

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