Internet: Firefox hat einen Haken
Auch in der digitalen Gegenwelt wird manchmal mit dem Teufel paktiert: Der IT-Journalist Stefan Mey erklärt nichtkommerzielle Projekte wie Linux, Mastodon oder Wikipedia.
Jeff Bezos gehört nicht zu den Leuten, die man zum Feind haben will, das erfuhren die Betreiber:innen der Shoppingsite diapers.com vor ein paar Jahren am eigenen Leib. Der Amazon-Chef war auf den aufstrebenden Onlinehändler für Babyartikel aufmerksam geworden und wollte diesen, obwohl er keine allzu bedrohliche Konkurrenz darstellte, unbedingt aufkaufen. Der Windelversand lehnte ab, woraufhin Amazon einen gnadenlosen Preiskrieg startete, bis der kleinere Internetshop Ende 2010 schliesslich kapitulieren musste.
Die Geschichte – im Onlinemagazin «Slate» unter dem schönen Titel: «The Time Jeff Bezos Went Thermonuclear on Diapers.com» nachzulesen – veranschaulicht, was es konkret heisst, wenn von der überbordenden Marktmacht der Techkonzerne die Rede ist. Amazon, Alphabet, Apple, Meta: Eine Handvoll Unternehmen beherrscht das Reich des Digitalen. Zu deren Produkten gibt es aber zahlreiche Alternativen. Der deutsche IT-Journalist Stefan Mey hat kürzlich ein lesenswertes Buch unter dem Titel «Der Kampf um das Internet» veröffentlicht, in dem er Recherchen zu dieser digitalen Gegenwelt zusammengetragen hat.
Der Band erläutert einerseits, welche Wege es gibt, sich dem «Überwachungskapitalismus» zu entziehen. Andererseits beleuchtet er aber auch die Stellen, an denen die heile Welt des nichtkommerziellen Netzes Risse zeigt. Mey porträtiert zunächst ausgewählte Projekte und skizziert ihre Organisations- sowie Finanzierungsmodelle. Viele von ihnen dürften bereits bekannt sein: Statt Windows kann man ein Linux-Betriebssystem installieren, man kann mit Firefox statt Chrome surfen, sich mit Open Street Map statt Google Maps orientieren und auf Mastodon statt Twitter die eigenen Gedanken in die Welt hinauströten.
Tracking als Klimakiller
Das ist oft bequemer, als man argwöhnen mag, billiger ist es sowieso und hat überdies noch andere Vorteile: Während profitorientierte Anbieter Nutzer:innendaten zu Werbezwecken sammeln, sind die alternativen Dienste zurückhaltender – und dadurch auch besser fürs Klima. Mey zitiert eine Studie von 2018, die zum Ergebnis kam, «dass bei Webseiten durchschnittlich 50 Prozent des Datenverkehrs durch Werbung und Tracking verursacht werden». Dieser Verkehr wiederum macht Serveranlagen notwendig, die Energie fressen. «Datenschutz ist auch Umweltschutz», folgert Mey.
Aufschlussreich ist aber vor allem das, was Mey zu den Hintergründen des Alternativkosmos recherchiert hat. Signal, das maximalen Datenschutz verspricht, erfreut sich beispielsweise als Whatsapp-Alternative grosser Beliebtheit. Der Messenger funktioniert nach dem «Zero knowledge»-Prinzip, verschlüsselt Nachrichten automatisch und weiss folglich nicht, was kommuniziert wird. Aber man muss seine Telefonnummer angeben, um ein Profil zu erstellen, was gerade für Aktivist:innen zum Problem werden kann: Hat die Polizei Zugriff auf ein Handy einer Signal-Gruppe, sieht sie auch alle anderen Nummern.
Zudem ist interessant, wie der Messenger wirtschaftlich organisiert ist. Dahinter steht die 2018 gegründete Signal Foundation, deren Strukturen eher intransparent sind. Aus den zugänglichen Dokumenten ergebe sich aber, so Mey, dass die Stiftung genau ein Mitglied habe, nämlich einen Mann namens Brian Acton. Dieser wiederum wurde zum Milliardär, als er vor zehn Jahren seine Anteile an dem von ihm mitgegründeten Whatsapp verkaufte, heute regiere er als «eine Art Alleinherrscher» die Stiftung hinter Signal.
Märkte erobern mit Tor
Auf Fragwürdiges stösst man auch bei Firefox. Der Browser, hinter dem die finanzstarke Mozilla Foundation steht, ist einerseits eine hervorragende Alternative zu Chrome oder Safari. Andererseits überweist ausgerechnet Alphabet jährlich mehrere Hundert Millionen US-Dollar an die Stiftung, damit Google als Standardsuchmaschine bei Firefox eingerichtet bleibt.
Und auch anderswo wird mit dem Teufel paktiert: Einer der wichtigsten Financiers der digitalen Gegenwelt ist die US-Regierung, die etwa die Entwicklung des Tor-Browsers, der anonymes Surfen ermöglicht, mit Millionen bezuschusste. Die Beförderung von «internet freedom» ist für Washington ein Werkzeug im geopolitischen Ringen mit verfeindeten Staaten, ausserdem handelt es sich schlicht um Industrieförderung: Tor verschafft faktisch US-Unternehmen wie Facebook Zugang etwa zum chinesischen Markt.
Wo Licht ist, ist also auch Schatten. Das ändert aber nichts daran, dass der digitale Kosmos abseits des Silicon Valley oft noch immer den Charme einer Do-it-yourself-Bewegung verströmt und vieles zivilgesellschaftlichem Engagement von unten verdankt. «Oben» könnte derweil 2024 die Luft zumindest etwas dünner werden: Wegen möglicher Kartellverstösse muss sich Apple wohl schon dieses Frühjahr in einem vom US-Justizministerium angestrengten Verfahren vor Gericht verantworten. Ähnliches droht auch den anderen Branchenriesen. Ob tatsächlich eine schärfere Regulierung ansteht, ein Social-Media-Ungetüm wie Meta sogar zerschlagen wird, steht auf einem anderen Blatt.