Auf allen Kanälen: Kein Freiwild

Nr. 50 –

Die Sexarbeiterin Salomé Balthus gewinnt vor Gericht gegen die ­«Weltwoche». Möglicherweise wird das Blatt auch Gewinn zurückzahlen müssen.

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stilisiertes Foto von Salomé Balthus
Salomé Balthus

Die «Weltwoche» hat die Persönlichkeitsrechte der Sexarbeiterin Salomé Balthus verletzt, so lautet das Urteil des Bezirksgerichts Zürich von Ende November. Der fragliche Artikel von Roman Zeller ist am 5. Dezember 2019 auf fast drei Seiten erschienen, unter der Überschrift «Rendezvous mit Salomé Balthus». Der Autor hatte, nachdem er mit einer Interviewanfrage abgeblitzt war, über deren Agentur ein bezahltes «Kennenlern-Dinner» gebucht. Auf der Basis des Treffens in einem Berliner Restaurant verfasste er ein Porträt über Balthus, ohne ihre Zustimmung einzuholen oder ihre Zitate von ihr autorisieren zu lassen.

Fünfeinhalb Jahre sind vergangen, seit Balthus Klage gegen die «Weltwoche» eingereicht hat. Auf Anfrage zeigt sie sich über das Urteil erfreut: «Für mich persönlich bedeutet das sehr viel», sagt sie. «Ich muss nicht alles ertragen, weil ich mich in die Öffentlichkeit begeben habe. Ich bin auch als Prostituierte kein Freiwild und keine Projektionsfläche für boulevardjournalistische Fantasien.»

Eklat bei Schawinski

Gemäss dem Urteil, das noch nicht rechtskräftig ist, muss die «Weltwoche» den Artikel von ihrer Website löschen und in der gedruckten Ausgabe über das Urteil informieren, mit Erwähnung auf der Frontseite und im Editorial. Erst in einem nächsten Schritt wird das Gericht beurteilen, ob Klara Lakomy, wie Balthus offiziell heisst, auch Anrecht auf eine sogenannte Gewinnherausgabe hat. Dazu muss die «Weltwoche» nun sämtliche Daten vorlegen, mit denen sich berechnen lässt, was sie mit dem Artikel verdient hat. Darin liege die medienrechtliche Bedeutung des Urteils, sagt Balthus’ Anwalt Pablo Bünger auf Anfrage. Ein solcher Antrag auf Datenherausgabe sei in der Schweiz bisher erst einmal gutgeheissen worden, im Fall Jolanda Spiess-Hegglin gegen den «Blick».

Eigentlich beginnt die Geschichte 2019 mit einem Eklat, der Salomé Balthus in der Schweiz kurzzeitig zu einem Medienphänomen macht. Roger Schawinski lädt sie im April in seine Talksendung beim Schweizer Fernsehen SRF ein. Er fragt sie, ob sie als Kind sexuell missbraucht worden sei, nachdem es im Gespräch kurz zuvor um ihren Vater gegangen ist. Als Balthus das in der deutschen Zeitung «Welt» falsch zitiert, wird ihre Kolumne dort kurzerhand eingestellt.

Nun interessiert sich die «Weltwoche» brennend für Balthus, schickt mehrere Anfragen, bietet ihr sogar eine Kolumne an. «Ich habe das alles abgelehnt», sagt Balthus im Gespräch. «Ich würde nie für einen Artikel in der ‹Weltwoche› einwilligen, weil ich nicht das Feigenblatt für deren rechten Populismus sein will.» Roman Zeller ist damals Mitte zwanzig und frischgebackener Reporter im Inlandressort. Auf seine Anfrage bei Balthus’ Berliner Escortagentur Hetæra bekommt er die Antwort: Abgesehen von einer journalistischen Zusammenarbeit sei er als Kunde willkommen. Er bucht ein Abendessen für tausend Euro.

Vage und ausweichend

Die entscheidende Frage vor Gericht war, ob Balthus ihre Einwilligung zum Artikel gegeben hatte, in dem auch intime Details über sie stehen. Zellers Aussagen dazu waren laut Gericht «vage, beinahe ausweichend». Auffällig sei ausserdem, dass Zeller keine Notizen und keine Aufnahme gemacht habe, wie er es nach eigener Aussage üblicherweise mache, wenn er über ein Treffen schreiben wolle. Zeller war sehr wohl bewusst, dass er die journalistische Ethik verletzt. Nach dem Treffen schrieb er Balthus eine Weihnachtskarte, die den Satz enthielt: «Ich hoffe, Du bist mir nicht böse.»

Für Zeller, 2022 bei der «Weltwoche» zum Ressortleiter Digital aufgestiegen und seither Mitglied der Chefredaktion, war Balthus’ Intimsphäre offensichtlich eine Art Trophäe. Weil er glaubte, dass ihm die Publikation intimer Informationen zustehe, und er wusste, dass er keine Erlaubnis dafür erhalten würde, fragte er gar nicht erst danach. Die «Weltwoche» argumentierte, Balthus gebe in der Öffentlichkeit sowieso regelmässig Intimes über sich preis, darum habe man auch ein Recht, darüber zu schreiben. Dabei waren die Kolumnen von Balthus vor allem politisch, mit persönlichen Informationen ging sie zurückhaltend um. So sagt die Argumentation vor allem etwas über die abwertende Haltung der Absender aus, wonach die Grenzen einer Person, die Sex verkauft, automatisch weniger gelten sollen.