Die Lernwerkstatt

Am Zürcher Bezirksgericht: «Von welcher Schule seid ihr?»

Drei Angeklagte, fast 500 000 Franken Diebesgut und Sachschaden, zehn Hauseinbrüche in ganz Zürich. Ihnen gegenüber: Das eingeschworene Team des Bezirksgerichts – und wir mittendrin. Eine Gerichtsreportage.

Skizze der Sitzordnung im Gerichtssaal
«So sitzen alle im Gerichtssaal bereit, um den Prozess zu eröffnen.»

«Herr Sembrici*, das Gericht entscheidet, Sie auf eine Probezeit von zwei Jahren zu setzen. Ausserdem werden Sie für sieben Jahre des Landes verwiesen. Sollten Sie gegen diesen Entscheid handeln, kommt es zu einem neuen Verfahren gegen Sie», erklärt der Richter dem Dolmetscher zugewandt, so wie er es schon während des gesamten Verfahrens tut. Der Dolmetscher übersetzt geschwind, da die Angeklagten nur Italienisch sprechen.

Herr Sembricis Blick schwankt zwischen dem Dolmetscher und dem Richter. Nun hat sich der Richter auch ihm zugewendet, sein Blick prüfend, aber freundlich. Scheinbar überrascht das Urteil weder den Anwalt noch den Angeklagten. «Noch einmal will ich mich für meine Taten in der Vergangenheit entschuldigen», übersetzt der Dolmetscher dem Richter, nachdem dieser die Frage stellte, ob der Angeklagte noch etwas anzufügen habe. Der Richter nickt aufmerksam und wendet sich gleich dem nächsten Angeklagten zu.

Wie ein modernes Spital

Nach Betreten des Bezirksgerichts finden wir uns an einer Rezeption wieder. Eine nette Dame empfängt uns. Sie weist uns darauf hin, dass wir uns das nächste Mal anmelden sollten, da oft Schulklassen vorbeikommen und es normalerweise keinen Platz gibt. Rechts stehen kleine Spinde. Durch eine gläserne Drehtür gelangt man in eine kleine Halle. Es sieht eher aus wie in einem modernen Spital als in einem Gerichtsgebäude. Eine Flasche mit Desinfektionsmittel steht rechts in der Halle. Drei Tische mit modernen Kunstwerken befinden sich in der Mitte. Dahinter liegt die Wartehalle für die Gerichtssäle vier und fünf.

Dort steht bereits ein Angeklagter in Handschellen, begleitet von zwei Polizisten. Nach und nach kommen die Anwälte und der Dolmetscher dazu. «Darf ich eure Namen haben?», fragt uns eine jüngere Dame kurz vor Verhandlungsbeginn. Wie sich später herausstellt, ist sie die Gerichtsschreiberin.

Als wir reinkommen, wartet der Richter schon. Der Gerichtssaal sieht nicht so aus, wie wir ihn uns vorgestellt haben: Es ist nicht altmodisch und gross, wie in einem Film, sondern ähnelt einem Bürozimmer. Schwarze, hölzerne Stühle stehen in der hinteren Hälfte des Saals, wo die Zuschauer:innen Platz nehmen müssen.

Mit uns vieren ist noch ein Zuschauer, nämlich Herr Hanspeter*. Er war Opfer von einem der Einbrüche und will das Urteil nun selbst mitbekommen. «Von welcher Schule seid ihr?», fragt er uns. «Literargymnasium Rämibühl», antworten wir. Die sechs Polizisten sitzen jeweils rechts und links an der Wand. Die drei Angeklagten sitzen mit ihren Anwälten an einem weissen Bürotisch in der Mitte des Raumes. Ihnen gegenüber steht ein grosser, hochgestellter Tisch, an dem Richter, Referent und Korreferent sitzen. Rechts im Raum sitzt die Gerichtsschreiberin, links der italienische Dolmetscher. So sitzen alle im Gerichtssaal bereit, um den Gerichtsprozess zu eröffnen.

Fünfzehn Jahre Landesverweis

Im Fall geht es darum, wie die Strafe gegenüber den drei Angeklagten ausfällt: Ihnen wird vorgeworfen, als Bande seit zehn Jahren gemeinsam Einbrüche zu begehen. «Die Sachschaden- und Diebstahlkosten betragen insgesamt fast 500 000 Schweizer Franken!», sagt der Richter in ernstem Ton. Die meisten Taten sollen sie zu dritt begangen haben. Manchmal waren jedoch mutmasslich auch unbekannte Personen involviert. Vor etwa einem Jahr wurden die drei geschnappt – zum Zeitpunkt des Prozesses sind sie nun bereits seit dreizehn Monaten inhaftiert.

Zwei von ihnen werden zu zwei Jahren, der Dritte sogar zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Aufgrund guten Verhaltens und Arbeit in der Haft verhandelt das Bezirksgericht nun auch eine frühzeitige Entlassung mit Probezeit. Diese müssen sie jedoch ausserhalb der Schweiz antreten: Sie werden nämlich des Landes verwiesen – für sieben, acht und fünfzehn Jahre, so das Urteil.

«Ich möchte zurück zu meinen Grosseltern nach Italien und in der Landwirtschaft arbeiten», übersetzt der Dolmetscher dem Richter die Worte des ersten Beschuldigten. «Mein Plan ist es, einen Lebensmittelladen zu eröffnen, sobald ich genug Geld angespart habe», ist der Wunsch des Zweiten. Der Dritte will unbedingt in Mailand wieder als Koch anfangen. Gewiss ist ihre Zukunft in Italien noch unbekannt, doch ein Ziel haben sie alle vor Augen.

*Name von der Redaktion geändert

Das Urteil vom 4. Februar 2025 ist noch nicht rechtskräftig.