Film: Wenn die Lügen sich lichten

Nr. 14 –

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Filmstill aus «The Mother of All Lies»
«The Mother of All Lies». Regie: Asmae El Moudir. Marokko/Saudi-Arabien/Katar/Ägypten 2023. In: Zürich Arab Film Festival, Fr, 4. April 2025, 18 Uhr, Filmpodium; und Sa, 5. April 2025, 21 Uhr, Frame. www.iaffz.com

Zeternd beugt sich Grossmutter Zahra über das bis zum Wandporträt von König Hassan II. detailliert nachgebaute Miniaturmodell ihrer Wohnung: Das soll ihr Wohnzimmer sein? In dieser «beschissenen Farbe»? Ihre Tapete sei «königsblau», und niemals lasse sie Geschirr einfach so auf dem Tisch herumstehen. Beim Blick durch die Lupe missfällt ihr auch das Tonpüppchen, das sie darstellen soll, kunstvoll geformt mit Glitzerkopftuch, Blümchenkleid und Stock: Alles von ihr hätten sie «verunstaltet».

«The Mother of All Lies» («Kadhib abiad», wörtlich übersetzt: «Notlüge») gehört zu den Highlights am diesjährigen Arab Film Festival in Zürich. Die marokkanische Filmemacherin Asmae El Moudir lässt darin ihren Vater die Nachbarschaft ihrer Kindheit in Casablanca im Puppenformat nachbauen. Er hatte in der Gegend als Maurer und Fliesenleger gearbeitet und versteht etwas von Handwerk, wie das faszinierend realistische Modell zeigt.

Es ist ein erweitertes Familienprojekt: Neben Vater, Mutter und Grossmutter werden auch zwei ehemalige Nachbarn ins Atelier geladen, um in der Kulisse ihrer Vergangenheit «die Erinnerungen wiederherzustellen», die jahrelang unterdrückt, verdrängt und vertuscht worden waren. Was genau geschah im Juni 1981, als Tausende in der Stadt auf die Strasse gingen, um gegen die gestiegenen Brotpreise im Land zu demonstrieren, und Hunderte nie wieder nach Hause kamen? Und warum besitzt die Familie so gut wie keine Fotos aus dieser Zeit und den Jahren danach? Es wird gebastelt, animiert und nachgestellt, bis sich dunkle Geheimnisse lüften und sogar Oma Zahras Panzer bröckelt.

Klingt nach Therapie? Asmae El Moudir geht es um etwas anderes. Sie wolle Denkprozesse anstossen, das Bewusstsein für die Macht von Erinnerungen und die Bedeutung von Bildern und Archiven schärfen, erklärte sie in einem Interview mit «Film International». Und doch liegt am Ende auch etwas Tröstliches in diesem aussergewöhnlichen, in Cannes preisgekrönten Erstling. Sobald sich die (Not-)Lügen lichten, wachsen Nähe und Solidarität.