Christlicher Nationalismus in den USA: Freiheit, Ordnung und Gewalt

Nr. 42 –

Die Präsidentschaft von Donald Trump ist ohne christliche Fanatiker:innen in seinen Reihen nicht denkbar. Wer sind die Gotteskrieger:innen, und woher kommen ihre Ideologien? Ein Blick auf die Entwicklung der religiösen Rechten in den USA.

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Teilnehmer:innen einer Veranstaltung der Organisation Turning Point USA halten sich an den Hände
Beten für Amerika: Teilnehmer:innen einer Veranstaltung der Organisation Turning Point USA an der Virginia Tech University Ende September. Foto: Alex Wroblewski, AFP

Sie hatte aktiv für seine Rückkehr ins Weisse Haus geworben und gebetet: Die Wiederwahl von Donald Trump war auch ein Sieg für die religiöse Rechte in den USA. Trump belohnte seine Mitstreiter:innen, indem er ihnen in seiner neuen Regierung Macht und Einfluss verschaffte und ihre politischen Ziele zu seiner Agenda erklärte. Im April schrieb der Präsident auf Truth Social, er werde Amerika «religiöser machen, als es je zuvor war!». Paula White, Trumps spirituelle Beraterin aus der ersten Amtszeit, leitet das neu gegründete Faith Office des Weissen Hauses. Im Aussenministerium sollen Beamt:innen «antichristliche Vorurteile» aus Bidens Amtszeit melden, und eine neu eingesetzte Religious Liberty Commission soll «Religion zurück ins Land bringen», so Trump.

Mit «Religion» ist ein rechtes Christentum gemeint – denn die religiöse Rechte des Landes, die Vertreter:innen verschiedener Glaubensrichtungen vereint, ist ein elementarer Bestandteil von Trumps Maga-Koalition. Waren in der Vergangenheit lange weisse Evangelikale prägend, spielen heute auch andere Gruppierungen eine wichtige Rolle.

Die «unheilige Dreifaltigkeit»

Um die religiöse Rechte in den USA zu verstehen, lohnt sich ein Blick in die Geschichte. Die politische Aktivierung weisser Evangelikaler sei in den siebziger Jahren geschehen, schreibt der Religionshistoriker Randall Balmer im «Guardian». Nach dem Urteil im Fall «Brown v. Board of Education», das 1954 die Segregation in öffentlichen Schulen für verfassungswidrig erklärte, waren Privatschulen gegründet worden, sogenannte Segregation Academies – christliche Schulen, die nur weisse Schüler:innen aufnahmen, oft unter dem Deckmantel christlicher Erziehung. Andere neu gegründete kirchliche Schulen bewarben nicht explizit Segregation, erfüllten aber denselben Zweck. Ab den siebziger Jahren entzog die Steuerbehörde IRS den Segregation Academies die Steuerbefreiung. Darin sahen weisse Evangelikale einen Angriff des Staates auf die Religionsfreiheit.

Führende Figuren wie der fundamentalistische Prediger Jerry Falwell behaupteten, der konstituierende Moment der organisierten religiösen Rechten sei das Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshofs von 1973 gewesen, das Abtreibung in einem bestimmten Rahmen legalisierte. Doch wirklich Fuss fasste das Thema unter weissen Evangelikalen laut Balmer erst 1980. Lange hatte die Gegnerschaft zu Abtreibung als «katholisches Thema» gegolten.

Die Allianz zwischen weissen Evangelikalen und konservativen Katholik:innen vergrösserte die Koalition der religiösen Rechten und aktivierte die breite Basis. Vor allem war die Verteidigung «ungeborenen Lebens» ein «Glücksfall für die Führer der religiösen Rechten, da sie damit die Aufmerksamkeit von den wahren Ursprüngen ihrer Bewegung ablenken konnten: der Verteidigung der Segregation in evangelikalen Institutionen», schreibt Balmer. Ende der siebziger Jahre hätten katholische Aktivist:innen der religiösen Rechten zudem begonnen, ihre Gegnerschaft zur Abtreibung als «Synonym für eine Vielzahl von Sorgen hinsichtlich der Gleichstellung der Geschlechter und Sexualität» zu verwenden, schreibt die Historikerin Mary Ziegler.

Die religiöse Rechte gewann in den folgenden Jahrzehnten zunehmend an Macht und vereinte verschiedene Glaubensrichtungen unter dem Banner des weissen christlichen Nationalismus. Der Soziologe Philip Gorski beschreibt diesen als «mythologische Version der amerikanischen Geschichte»: Dieser Erzählung nach seien die USA als «christliche Nation gegründet» und von Gott besonders gesegnet worden.

Doch «die Mission und der Segen» seien aus dieser Sicht «durch die Anwesenheit und den Einfluss von Nichtweissen, Nichtchristen und Einwanderern auf amerikanischem Boden gefährdet», sagt Gorski. Er schreibt in einem gemeinsam mit dem Soziologen Samuel Perry verfassten Buch von der «unheiligen Dreifaltigkeit» des weissen christlichen Nationalismus: Freiheit, Ordnung und Gewalt. Christlicher Nationalismus fordere «Freiheit für gebürtige, konservative, weisse, christliche Männer, Ordnung für alle anderen und Gewalt gegen jeden, der aus der Reihe tanzt», so Gorski. In Bezug auf die aktuelle Situation ergänzt er: «Daher versucht Maga, seine Gegner der ‹radikalen Linken› zum Schweigen zu bringen. Sie sind [für Maga] eine Bedrohung der Ordnung betreffend Race, Geschlecht und sexuelle Orientierung.»

Bis zum Ende des Kalten Krieges war es der Antikommunismus gewesen, der die verschiedenen Fraktionen der US-Rechten zusammengehalten hatte. Danach löste der christliche Nationalismus diesen als gemeinsamen Nenner ab.

Eine immense Machtverschiebung

Seit Trumps erster Amtszeit sind zunehmend auch andere theologische Strömungen, die lange als Randphänomene der religiösen Rechten galten, in den Mainstream der Rechten eingesickert: beispielsweise der Rekonstruktionismus, eine theologische Strömung des reformierten Christentums, die auf die sechziger Jahre zurückgeht und eine Theonomie errichten will – nach allgemeinem Sprachgebrauch eine Theokratie, in der die Staatsgewalt allein göttlich legitimiert ist. Heute wird etwa der Pastor Douglas Wilson diesem Spektrum zugeordnet – Verteidigungsminister Pete Hegseth gehört einer der Gemeinden des von Wilson gegründeten Kirchenverbands an.

In den nuller Jahren formulierte der Prediger Lance Wallnau, der den unabhängigen charismatischen Netzwerken der New Apostolic Reformation (NAR) zugeordnet wird, das «7 Mountain Mandate»: Alle Teile der Gesellschaft, die «7 Berge des Einflusses» – Familie, Religion, Regierung, Medien, Unterhaltung, Bildung und Wirtschaft –, müssten unter die Herrschaft rechtgläubiger Christen gebracht werden; eine theokratische Vision christlicher Vorherrschaft. Heute ist diese Theologie in der religiösen Rechten mehrheitsfähig und ins Machtzentrum der Republikanischen Partei vorgedrungen: Mike Johnson, der Sprecher des Repräsentantenhauses, pflegt etwa Verbindungen zur NAR.

Dass Strömungen wie die NAR an Einfluss gewonnen haben, liegt auch an Trump, der die Führungsfiguren unabhängiger charismatischer Netzwerke erst zu Powerplayern gemacht hat. War charismatischen Prediger:innen der Zutritt zur klassischen Führungsriege der religiösen Rechten lange verwehrt geblieben, änderte sich das mit Trump: Während seines Wahlkampfs 2016 beauftragte er die erwähnte Predigerin Paula White mit der Mobilisierung weisser Evangelikaler. Die Führungsfiguren der etablierten religiösen Rechten brauchten jetzt White und ihr Netzwerk von charismatischen Prediger:innen, Mega-Church-Pastor:innen und Televangelist:innen, um Zugang zum Präsidenten zu erhalten – eine immense Machtverschiebung innerhalb der religiösen Rechten. Deren Einfluss hat seitdem zugenommen und findet sich auch jenseits charismatischer Strömungen. So lobte der im September ermordete rechtsextreme Aktivist Charlie Kirk Trump 2020 mit den Worten: «Wir haben endlich einen Präsidenten, der die sieben Berge kulturellen Einflusses versteht.»

Gleichzeitig wurde die Vorstellung von «geistlicher Kriegsführung» in der US-amerikanischen Rechten popularisiert – von Kirk, aber auch von Sprecher Mike Johnson oder Ron DeSantis, dem Gouverneur von Florida. Dahinter steht der Glaube, rechtgläubige Christ:innen befänden sich in einem Kampf gegen Dämonen und Mächte des Bösen, Dämonen würden nicht nur von Menschen Besitz ergreifen können, sondern auch von Gebäuden und Institutionen. Die sogenannten Jericho-Märsche im Vorfeld des Sturms auf das Kapitol am 6. Januar 2021 seien Teil einer solchen «geistlichen Kriegsführung» gewesen, sagt Religionswissenschaftler Matthew Taylor: «Die Führer der NAR waren die wichtigsten theologischen Architekten des Angriffs.»

Der Religionswissenschaftler Bradley Onishi mahnt: «Die Vorstellung, dass Kirks Ermordung Teil eines spirituellen Kampfes sei, wird von christlichen Nationalisten aller Couleur, von Rekonstruktionisten, Katholiken, der NAR, wiederholt. Sie behaupten, dass die Linken Dämonen seien und das Christentum zerstören wollten.» Es handle sich um eine Form der Entmenschlichung des politischen Gegners: «Sie stellen dies als einen Kampf gegen einen spirituellen Feind dar, der kein Mensch ist und mit dem man nicht reden kann.» Auch Matthew Taylor warnt vor diesem Radikalisierungspotenzial: «In diesen Kreisen wird die Loyalität zu Trump zur Loyalität zu Gott. Und sich auf die Seite von Trump zu stellen, wird Teil des spirituellen Kampfes.» Trump postete jüngst auf sozialen Medien, dass die Demokraten die «Partei des Hasses, des Bösen und Satans» seien.

Heritage Foundation für Junge

Seit 2019 hatte Charlie Kirk sich und seine Organisation Turning Point USA (TPUSA) zunehmend auf christlichen Nationalismus ausgerichtet und sich dabei auch an Modellen der historischen religiösen Rechten wie etwa Moral Majority orientiert. Der bereits erwähnte Jerry Falwell hatte diese politische Organisation 1979 gegründet, um im Wahlkampf Prediger in Kirchen für Ronald Reagan zu aktivieren, die dann ihre Gemeindemitglieder mobilisieren sollten. Kirks Unterorganisation TPUSA Faith habe sich dies zum Vorbild genommen, sagt Onishi. «Man kann TPUSA Faith als Moral Majority des 21. Jahrhunderts betrachten, aber auch als eine Art Heritage Foundation für Menschen unter 35.» Die Heritage Foundation hat in der jüngsten Vergangenheit die Agenda «Project 2025» herausgegeben, die in vielen Entscheidungen der Trump-Regierung zu erkennen ist. Russell Vought, einer der Architekten dieses 900-seitigen Plans, hat sich zudem als Chef des Office of Budget and Management der ­«Dekonstruktion des administrativen Staates» verschrieben.

Derweil stilisiert die religiöse Rechte Kirk jetzt als Märtyrer für die Maga-Bewegung. Diese Erzählung passe «in den Rahmen des christlichen Nationalismus, weil Kirk nun ein Held für die Sache ist», sagt die Religionswissenschaftlerin Anthea Butler. «Sie nutzen ihn und seinen Tod, um für den christlichen Nationalismus zu mobilisieren.» Die US-amerikanische Rechte behauptet, «die Linke» sei Schuld am Mord an Kirk – die ihm zugeschriebene Rolle des Märtyrers dient neben der Mobilisierung auch als Vorwand für autoritäres Vorgehen gegen die politische Opposition – mit göttlicher Legitimation.

Annika Brockschmidt ist Historikerin, Journalistin und Podcasterin. Zuletzt erschien ihr Buch «Die Brandstifter. Wie Extremisten die Republikanische Partei übernahmen» (2024, Rowohlt Verlag).