Im Affekt: Fetischclub an bester Adresse

Nr. 18 –

Hier schlagen sich Büezerinnen und Banker den Kopf am Chagall an. Hier versammeln sich die mittellosen Künstler:innen des Okzidents, um bei einer klaren Suppe (19 Franken) klare Gedanken zu fassen. Hier ist man noch Mensch, solange man keine Trainerhose trägt. Oder in den Worten eines Gastes (Psychiater): Die «Kronenhalle» ist der demokratischste Ort Zürichs.

Die Legende lebt. Das beweist die breite Rezeption der dreiteiligen SRF-Dokuserie, die kürzlich ausgestrahlt wurde und die Zürcher Institution aus Anlass ihres 100. Geburtstags ehrt. Die Serie klärt vordergründig darüber auf, wie aufwendig der Service, wie teuer der Wein im Keller und wie rau der Umgangston in der Küche ist. Viel interessanter ist allerdings der Einblick in das Seelenleben der Schönen und Reichen: Man muss diesen Film als ethnologische Studie verstehen.

Darin betonen die uninspirierten Protagonist:innen in bemerkenswerter Einigkeit und erschöpfender Erwartbarkeit, wie bedeutsam die Institution «Kronenhalle» sei. Sie verweisen – ist das schon Masochismus? – auf die berühmten Gäste der Vergangenheit: auf Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt, auf all die Leute mit intellektueller Strahlkraft, die die «Kronenhalle» schon besuchten. Kurz: auf all die früheren Gäste mit positiven Qualitäten, die den Besucher:innen heute offensichtlich fehlen. Wenige Ausnahmen bestätigen die Regel, zum Beispiel Stammgast und Bestsellerautor Martin Suter («Business Class»).

Es mag stimmen, dass die einstige Wirtin der «Kronenhalle» Bemerkenswertes geschaffen hat: ein Restaurant, in dem grosse Künstler:innen, reiche und auch gewöhnlichere Leute zusammenkamen. Und dass ihr Sohn, der das Lokal nach ihr übernahm, in der Kunstwelt gut vernetzt war, was die Bildergalerie mit Millionenwert erklärt. Der Dokfilm über die heutige «Kronenhalle» klärt aber auf: Vom bodenständigen Charme geblieben ist in erster Linie das ordinäre kulinarische Angebot – Zürcher Geschnetzeltes für 61 Franken.

Wir empfehlen den Versuch, mal mit einer schönen Zeichnung im Gepäck bei der «Kronenhalle» anzuklopfen. Für einfache Künstler:innen ist dort bekanntlich immer ein Plätzchen frei.