Kultour

Nr. 40 –

Konzert

The Convergence Quartet

Der Kornettspieler Taylor Ho Bynum spielte erstmals am Taktlos 2009 in Zürich. Er stellte sein Sextett vor, zu dem auch die Gitarristin Mary Halvorson gehört. Die Band mit New YorkerInnen der jüngeren Generation wusste zu überzeugen. Kurz bevor am diesjährigen Jazzfestival Willisau der Pianist Cecil Taylor spielen sollte, musste er wegen Krankheit absagen. Der Saxofonist Anthony Braxton sprang kurzfristig ein. Er wählte für ein Ad-hoc-Trio Ho Bynum und den in Luzern lehrenden Schlagzeuger Gerry Hemingway. Ho Bynum hat sich seit Jahren intensiv mit der Musik Braxtons auseinandergesetzt und gehört zum Kern von Braxtons aktuellen Formationen.
Die «Braxton-Schule» hört man auch aus dem Convergence Quartet heraus. Ho Bynum hat in dem bei uns noch kaum bekannten jungen englischen Pianisten Alexander Hawkins einen kongenialen Partner gefunden. Der aus Oxford stammende Bassist Dominic Lash und der in New York lebende Schlagzeuger Harris Eisenstadt vervollständigen die Crew. Das Convergence Quartet verbindet die improvisatorische Gabe mit dem ausgewiesenen kompositorischen Geschick aller Beteiligten. Ihre songhafte Musik bewegt sich zwischen den Polen, sucht nach Konvergenzen und findet zu einer tänzerischen Anmut und grossen Dringlichkeit.
The Convergence Quartet feat. Taylor Ho Bynum 
in: Zürich Rote Fabrik, So, 6. Oktober 2013, 19 Uhr. 
www.rotefabrik.ch

Fredi Bosshard

Ausstellung

Thomas Schütte

Die überlebensgrosse Skulpturengruppe «Vier Grosse Geister» des deutschen Künstlers Thomas Schütte stand schon am Zürcher Bellevue, im Parc des Bastions in Genf und war bis Ende September auf der Kleinen Schanze in Bern ausgestellt. Die Bronzefiguren erinnern an ausserirdische und etwas aus der Form geratene Versionen der wulstigen Michelinmännchen. Sie versuchten, mit PassantInnen Kontakt aufzunehmen, und verwiesen auf die Ausstellung in der Fondation Beyeler in Riehen.
Der in Oldenburg geborene Schütte wurde bereits in den achtziger Jahren mit architektonisch gefärbten Konstruktionen und Modellen bekannt. Parallel dazu schuf er Keramikfiguren und begann, ein bildhauerisches Werk zu entwickeln, bei dem der Mensch im Zentrum steht. Die Ausstellung in Riehen zeigt neben seinen Skulpturen aus Bronze, Stahl, Keramik und Glas auch Zeichnungen und Aquarelle aus den vergangenen dreissig Jahren. Diese demonstrieren den Weg, der mit dem Entwurf beginnt und bei der Gruppe «Vier Grosse Geister» enden kann.
Thomas Schütte in: Riehen Fondation Beyeler, ab 6. Oktober bis 2. Februar 2014, täglich, 10–18 Uhr; Mi, 10–20 Uhr. www.fondationbeyeler.ch

Fredi Bosshard

Film

Die Bienen fliegen noch

«More than Honey» von Markus Imhoof ist der erfolgreichste Schweizer Film der letzten Jahre. Er verbindet Poesie, Wissenschaft und Politik. Sein Erfolg sollte nicht daran hindern, ihn weiter aufzuführen. Besonders in mittelgrossen und kleineren Ortschaften, wo trotz Einfamilienhausboom und Agglomerisierung immer noch mehr Bienen herumfliegen sollten, als sie es tun. Etwa in Dielsdorf im Zürcher Unterland. Dort gibt es seit über zwölf Jahren das oder den «philosophe», eine lokale Kulturinstitution in einer gediegenen Lokalität und mit einem interessanten Programm aus Vorträgen, Kleinkunst und Filmen. Dort kommt jetzt «More than Honey» zur Aufführung.
Kürzlich, bei der Abstimmung über das neue Arbeitsgesetz, haben sich in Dielsdorf 63,5 Prozent der Abstimmenden dafür entschieden, dass sie sich auch nachts um halb drei Uhr eine Bratwurst in den Mund stecken möchten, obwohl sie dafür nach Zürich fahren müssten. Da kann ein wenig Einsicht in die Produktionsbedingungen von Honig nicht schaden. Übrigens haben sich am gleichen Sonntag 81,8 Prozent gegen ein mögliches Ausländerstimm- und -wahlrecht ausgesprochen. Aber den englischen Titel wird man schon verstehen.
«More than Honey» in: Dielsdorf «philosophe», Regensbergstrasse 26. Mo, 7. Oktober 2013, 20 Uhr. www.philosophe.ch

Stefan Howald

Kleinkunst

Kulturkegeln

Schwamendingen wird unterschätzt. Gut, bei Abstimmungen und Wahlen glänzt der Zürcher Stadtteil meist nicht besonders mit fortschrittlichen Resultaten. Aber das kann sich ändern, wenn Veranstaltungen wie die «Schwamendinger Kurzauftritte» eine Zukunft haben. Sie finden erstmals im Restaurant Ziegelhütte statt, das zwar etwas abseits vom Dorfkern, aber in lockerer Fussdistanz von diesem gelegen ist. Wie es sich für ein Ausflugsrestaurant gehört, gibt es da auch eine Kegelbahn, und diese wird zur Bühne für zwanzig kurze kulturelle Statements, die der Musiker Simon Dellsperger mit Unterstützung von Phil Hayes programmiert hat.
Ein Auftritt soll nicht länger als zehn Minuten dauern, und Jesko Stubbe macht den Speaker. Es ist alles möglich zwischen theatralischer Performance und rasantem Musikvortrag. «Sensationelle Normalitäten» sind erwünscht, der Auftritt kann grandios unvollkommen sein oder einfach nur Spass machen. So fetzt das Akkordeonorchester Schwamendingen, das seit 1948 besteht, durch ein musikalisches Potpourri. Trixa Arnold – «Jede Schallplatte ist eine gute Schallplatte» – führt mit ihren Lenco-Plattenspielern vor, was das bedeutet. Die Sängerinnen Simone Füssler, Katharine Heissenhuber und Susanne Lorenz performen jeweils eigenständige Fassungen der «Postpetrolistischen Internationalen», was man auch mit «Die Schwamendinger Energiewende» übersetzen könnte. Anton Bruhin spielt auf Maultrommeln, und der allseits berüchtigte MC Anliker von der Café-Bar Mokka in Thun reist an. Wenn das kein vergnüglicher Abend wird, kann man immer noch eine Runde kegeln.
«1. Schwamendinger Kurzauftritte» in: 
Zürich Restaurant Ziegelhütte, Kegelbahn, 
Fr/Sa, 4./5. Oktober 2013, ab 20 Uhr. 
Reservation: filiale@watzdameyer.ch

Fredi Bosshard

Lesung

Aus dem Wilden Osten

Selbst der Katholizismus ist hier offenbar ein wenig anders. Nein, gemeint ist für einmal nicht das Wallis, sondern dessen Schweizer Antipode: Graubünden. Jedenfalls verspricht uns ein neuer Buchtitel, dass hier «Der Bischof als Druide» auftritt. Der Volkskundler, langjährige Radioredaktor und Publizist Peter Egloff handelt in seiner im Verlag Desertina erschienenen Essaysammlung vierzehn rätische Eigentümlichkeiten ab. Er beschreibt einen Sennentuntschi-Fund als eine materialisierte Männerfantasie, reflektiert darüber, ob sich Arkadien angesichts der inszenierten Natur retten lasse (oder gerettet werden sollte); spricht rätoromanisch zur Pasteurisierung von Sprache (Linard Bardill hat in diesem Zusammenhang kürzlich kontrovers, aber einsichtig dafür plädiert, das Rätoromanische nicht zwangsernährt überleben zu lassen); schildert die Jagd als «fait social total», also als soziales Gesamtkunstwerk; dazu kommen Wanderungen und Künstlerporträts. Die Einführung an der Vernissage hält Köbi Gantenbein, Chefredaktor von «Hochparterre», der ja in der WOZ gelegentlich über die neuste Bündner (und andere) Volksmusik berichtet. Einen Apéro gibt es auch. Womöglich Murmelifleisch-Häppchen.
«Der Bischof als Druide» in: Chur 
Rätisches Museum, Di, 8. Oktober 2013, 18 Uhr.

Stefan Howald

Theater

Wieder mal nichts mit der Güte

Walter Mehring (1896–1981) erlebt alle zehn Jahre eine Renaissance. Die sollte er gar nicht nötig haben. Er ist einer der Meister der deutschen Epigrammatik, im Lied wie in der Kurzprosa. Sein Lebenselixier war das Berlin der zwanziger Jahre, und 1952 erschien dazu sein satirisch-wehmütiger Rückblick «Die verlorene Bibliothek. Autobiografie einer Kultur». Doch seine Texte gehen weit über ihre Entstehungszeit hinaus: präzise, witzig, melodisch, im Bad und auf der Strasse zu singen. Der Zweite Weltkrieg und der Holocaust aber brachen Mehrings kritischen Geist weitgehend, und er lebte danach dreissig Jahre lang zurückgezogen im Tessin und in Zürich.
Karen Roth-Krauthammer hat jetzt eine neue Mehring-Revue unter dem Titel «Mit der Güte des Menschen war’s wieder mal nichts» zusammengestellt, und das bewährte Trio von Graziella Rossi, Helmut Vogel und Daniel Fueter bringt sie in Hirzel auf die Bühne.
«Mit der Güte des Menschen war’s wieder mal nichts» in: Hirzel Kulturwerkstatt. Zugerstrasse 4, 
Fr, 4. Oktober 2013, 19.30 Uhr.

Stefan Howald