Kultour

Nr. 46 –

Literatur

Schreiben für das, was passiert

«Tak, tak, tak-te-tak, taktak, ddrrrrrrt»: So klingt nur eine Schreibmaschine. Etwa die, auf der namhafte SchreiberInnen im Zürcher Buffet Bellevue schreiben. Foto: Markus Bircher

Dem Klappern von Schreibmaschinentasten haftet heute etwas Nostalgisches an. Ganz und gar nicht nostalgisch, sondern brandaktuell ist jedoch die Aktion mehrerer Schweizer SchriftstellerInnen, in der eine Schreibmaschine im Zentrum steht. «Literatur für das, was passiert» lautet der Titel der Veranstaltung, die bereits erfolgreich in Zürich und Basel stattfand und nun nochmals in Zürich zu besuchen ist. Auf einer alten Schreibmaschine, wie sie schon auf dem Flyer abgebildet ist, schreiben über ein Dutzend AutorInnen auf Wunsch Texte: Gedichte, Liebesbriefe, Krimianfänge oder Pamphlete – ganz wie der Kunde oder die Kundin es wünscht. Die Spenden, die für die Texte eingenommen werden, gehen an humanitäre Organisationen und kommen Menschen auf der Flucht zugute. Es schreiben unter anderem Katja Brunner, Lea Gottheil, Ruth Schweikert, Heinz Helle, Simone Lappert, Tim Krohn.

«Literatur für das, was passiert» in: Zürich 
Buffet Bellevue, Sa, 14. November 2015, 11–19 Uhr. 
www.buffetbellevue.ch

Silvia Süess

Blaue Stunden

Das über 400-seitige Buch «Blaue Stunden. Kleine Quadratur der Liebe» ist in vier Kapitel aufgeteilt: «Nomenklaturen und andere Wortklaubereien», «Sehnsüchte und Fernweh», «Anatomien und Leibesübungen», «Moritaten und Wahnwitze». Jedes dieser Kapitel beinhaltet mehrere Kurzgeschichten, in denen Sabine Haupt von der Liebe erzählt, von ihren Abgründen und ihrer Schönheit. In «Body-Modification» etwa spricht eine Mutter zu ihrer Teenagertochter, die sich zum Geburtstag eine «Rhinoplastik», also eine Nasenkorrektur, wünscht: «Du willst also, dass man dir die Nasenscheidewand aufschneidet und wieder zunäht, dass man Knorpel und Knochen abtrennt und herausfräst, die Haut verkürzt, kurz: dass dich jemand verstümmelt, nach allen Regeln der Kunst.» Die Geschichte «Mein Gefährt. Auto-Biografie» ist eine Art Liebeserklärung an ein Auto, und in «Einfach romantisch. Vogelhochzeit» beobachten neugierige Spatzen ein verliebtes Paar, «gelockt vom Lärm der Romantik». Die Autorin liest im «Ono» in Bern aus ihrem Buch, musikalisch begleitet wird sie dabei von Christian Fotsch und Miguel Sotelo mit Flamencogitarre, Oud, Bouzouki und Cajon.

Sabine Haupt feat. Christian Fotsch & Miguel Sotelo in: Bern Kulturkeller ONO, Mi, 18. November 2015, 20 Uhr. www.onobern.ch

Silvia Süess

Theater

Suche nach Gemeinsamem

«There is no such thing as society» – diese These vertrat die britische Premierministerin Margaret Thatcher und setzte mit ihrer neoliberalen Agenda auf individualistisches Handeln der Menschen. Die Gegenthese ist Titel der ersten Folge der Performance-Reihe «Community in Progress» am Theater Basel: «There is such thing as society». Wie diese Gesellschaft aussieht, wie gemeinsames Handeln entsteht, wie sich Netzwerke bilden, wie Selbstorganisation funktionieren kann – diesen Fragen widmet sich die Reihe anhand historischer und aktueller Ereignisse. Da geht es um alternatives Wohnen und um die Erste Internationale, um digitale Commons und um den Zuccotti Park in New York, der 2011 von der Occupy-Bewegung besetzt wurde.

Das Projekt des deutschen Theaterregisseurs Kevin Rittberger bringt in vier Folgen Schauspielerinnen und Philosophen auf die Bühne. Und bei der Suche nach globaler und lokaler Mitbestimmung treten auch kollektiv organisierte Projekte an, sei es ein Performance-, ein Netzkünstlerinnen- oder ein Komponistenkollektiv.

«Community in Progress» in: Basel Theater Basel, Hochschule für Kunst und Gestaltung, Haus der elektronischen Künste, 13. November 2015 bis 8. März 2016. www.theater-basel.ch

Rahel Locher

Diskussion

Philosophischer Salon

Wir leben in kargen Zeiten. Vor knapp einem Jahr trat Robert Pfaller, der österreichische Philosoph und Kritiker der schwindenden Lustbarkeiten, als Auftakt der Reihe «Grosse Denker» im Zürcher Cabaret Voltaire auf. Seither warten wir gespannt auf den nächsten grossen Denker, auf die nächste grosse Denkerin auf den Brettern der Dadabühne.

Verkürzt wird diese Warterei nun mit einem weiteren Auftritt von Robert Pfaller am «philosophischen Salon im Rahmen des Psychoanalytischen Seminars Zürich» – und mit einem Rätselraten darüber, was uns das wahrhaft dadaistische Thema dieses Salons sagen will: «Smoke on the Water – Edition Dada. Mode und Moden. Lust zwischen Erinnern und Vergessen.» Der Song von Deep Purple beschreibt ja bekanntlich die Rauchentwicklung über dem Genfersee, als das Konzertgebäude 1971 während eines Auftritts von Frank Zappa und den Mothers of Invention am Jazzfestival Montreux in Flammen aufging. Doch auch dieser Hinweis bringt uns kaum weiter. Wer also wissen will, um was es an diesem philosophischen Salon wirklich geht, muss selber hingehen. Irgendwo zwischen Oberfläche und Abgrund, zwischen Schönheit und Verderben diskutieren die Künstlerin Marlene Haderer, die Theaterwissenschaftlerin Hayat Erdogan, der Psychoanalytiker Olaf Knellessen, die Künstlerin Una Szeeman – und eben Robert Pfaller.

Philosophischer Salon «Smoke on the Water» 
in: Zürich Cabaret Voltaire, Do, 19. November 2015, 20.30 Uhr. www.cabaretvoltaire.ch

Daniela Janser

Konzert

Verena von Horsten

Aus der Maschine gepumpter Schmerz: Verena von Horsten präsentiert in Zürich ihr neues Album «Alien Angel Super Death». Foto: David Langhard

Trommelwirbel! So geht das los bei Verena von Horsten, später dann heult eine Sirene auf. Wir sind also gewarnt. Die Zürcherin legt uns auf ihrer zweiten Soloplatte ihre wunde Seele dar, und das ist nicht nur metaphorisch gemeint. Man kann es im Booklet nachlesen, in einem Brief, mit dem sie sich an ihren Bruder wendet, der sich vor drei Jahren das Leben nahm.

Ein sogenannt persönliches Album also, wie das Plattenfirmen in solchen Fällen gerne auf ihre Promozettel schreiben. In der Konsequenz aber, mit der diese Sängerin ihr Innerstes offenlegt, erlangt die Floskel hier ihre eigentliche, unmittelbar schmerzliche Bedeutung zurück. Und das Aufregende daran: Verena von Horsten tut das ohne jene Requisiten, die im Pop gewöhnlich das Pathos der Innerlichkeit beglaubigen sollen. Sie vertont ihren Schmerz nicht mit akustischer Gitarre und/oder zerbrechlichem Piano, sondern pumpt ihn aus der Maschine – Elektropop als persönlicher Exorzismus. Ein heiss-kalter Trip ist das, weniger ruppig als ihr Debüt, aber getrieben von synthetischen Bässen und ohne Angst vor Bombast. Das Diagramm, das jeden Song entlang einer Lebenslinie einordnet, wäre nicht mal nötig gewesen. Man hört es der Musik auch so an, wie sie den Boden verliert, dem Tod entgegentaumelt und sich dann wieder erhebt und den Glauben ans Leben zurückerobert, mit dem wuchtigen Discostampfer «The Believer» ganz am Schluss.

«Alien Angel Super Death», so heisst übrigens diese Platte, mit der Verena von Horsten jetzt auf eine kleine Tour geht. Klingt etwas beliebig, aber die Aufzählung fasst perfekt zusammen, was auf diesem Album tobt und faucht und heult und singt: ein Fabelwesen aus Alien und Engel, stets den Tod im Nacken. Und ja, super ist die Platte auch.

Verena von Horsten in: Zürich Bogen F, Do, 12. November 2015, 21 Uhr (Plattentaufe); Bern Café Kairo, Fr, 27. November 2015, 21.30 Uhr; Winterthur Kraftfeld, Fr, 4. Dezember 2015, 21 Uhr; Basel Kaserne, 
Fr, 11. Dezember 2015, 21 Uhr (mit Puts Marie). 
www.verenavonhorsten.com

Florian Keller